Begleitmaterial zum Kolping-Film
Der Bayerische Rundfunk hat den Dokumentarfilm „Kolping“ in Auftrag gegeben, der von der Redaktion für Zeitgeschichte begleitet wurde. Robert Atzorn spielte die Hauptrolle. Am 1. Mai 1986 wurde der Film “Kolping” im Ersten Deutschen Fernsehen gesendet und am 6. Mai 1999 in Bayern 3 wiederholt. Zu diesem Film wurde Begleitmaterial für den Schulunterricht herausgegeben:
1813-1840
Inhalt
Am 8. September 1813 wird in Kerpen, linksrheinisch in der Nähe von Köln, Adolph Kolping als viertes Kind eines Lohnschäfers geboren. Er besucht die Landschule in Kerpen und erlernt mit 13 Jahren das Schuhmacherhandwerk. Seine Gesellen- und Wanderjahre führen ihn auch nach Köln, wo in ihm der Entschluß reift, Priester zu werden. In autodidaktischen Studien qualifiziert er sich unter Mithilfe seines Freundes, des Kaplans Wollersheim, für den Übertritt in das Marzellengymnasium in Köln.
Es ist die Zeit des "Vormärz" (1815 bis 1848) mit seinen nationalen, demokratischen, gesellschafts- und sozialpolitischen Krisenjahren in den Ländern Deutschland, die das Bewußtsein Kolpings prägen. Vor allem aber ist es das von Kolping am eigenen Leib erlebte soziale Elend der Handwerksgesellen, die in der Zeit der industriellen Revolution Gefahr laufen, in die beklagenswerte Situation der Industrieproletarier zu geraten
Fakten zum Thema
Man schrieb das Jahr 1813. Die Befreiungskriege hatten ihren entscheidenden Höhepunkt erreicht. Zwischen dem 16. und 19. Oktober tobte die "Völkerschlacht" bei Leipzig, die ca. 100.000 Tote und Verwundete forderte. Geschlagen trat Napoleon mit den französischen und den Rheinbund-Truppen den geordneten Rückzug über den Rhein nach Westen an. Das Ende seiner Herrschaft zeichnete sich ab. Der Rückzug der napoleonischen Armee und die zu erwartenden nachrückenden Truppen Blüchers und Schwarzenbergs lösten bei der linksrheinischen Bevölkerung Verunsicherung, Angst und Schrecken aus, vor allem die Nachricht, daß mit den fliehenden französischen Truppen auch verbündete asiatische Truppen zögen, die zum russisch-zaristischen Heer gehörten.
Am 1. Januar 1814 überschritten die Truppen der Koalitionsarmeen unter Marschall Blücher den Rhein.
In diesen Kriegswirren wurde am 8. Dezember 1813 in Kerpen, einer Kleinstadt zwischen Köln und Düren, Adolph Kolping geboren.
Die Stadt Kerpen und sein Kanton gehörten damals zum Roer-Département des französischen Kaiserreichs, deshalb ist Kolpings Geburtsurkunde in französischer Sprache abgefaßt.
"Pierre Külping déclarant ne savoir signer": Peter Kolping erklärt, nicht schreiben zu können, so steht es unten auf der Geburtsurkunde der Bürgermeisterei von Kerpen vom 9. Dezember 1813, die bezeugt, daß am 8. Dezember 1813 dem Lohnschäfer Peter Kolping und seiner Ehefrau Anna Maria Zurheyden als viertes Kind ein Sohn geboren wurde.
Mit 13 Jahren wurde Kolping aus der einklassigen Landschule von Kerpen entlassen. Sein Leben lang erinnerte sich Kolping dankbar an seinen Lehrer, der ihm Kenntnisse vermittelt hatte, "die außer dem Kreise einer gewöhnlichen Landschule lagen". - "Die glücklichsten Stunden meines Lebens habe ich unter seiner Aufsicht zugebracht."
Das war in jeder Beziehung eine Ausnahme, weil der regelmäßige Schulbesuch für die Kinder der Landbevölkerung damals keineswegs eine Selbstverständlichkeit war, denn erst in diesem Zeitraum setzte das ernsthafte Bemühen um die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ein.
Exkurs
Bis 1919 bestand in Deutschland nur eine sog. Unterrichtspflicht, d. h. die Mindestkenntnisse konnten auch durch einen Privatlehrer oder in häuslichem Unterricht vermittelt werden. Erst Art. 145 der Weimarer Verfassung legte die Schulpflicht fest. Durch das Grundschulgesetz vom 28. April 1920 wurde die Pflicht aller Kinder zum gemeinsamen Besuch der öffentlichen Grundschule statuiert.
Die soziale Lage der Eltern Kolpings, lohnabhängige landwirtschaftliche Arbeiter, "deren ganzes Vermögen in einer zahlreichen Familie bestand, deren Unterhalt ihnen vollauf zu tun gab", war für die damalige soziale gesellschaftliche Situation repräsentativ.
Kolpings Vater, ein Lohnschäfer auf dem Mellerschen Gut, ermöglichte seinem Sohn Adolph, dessen Begabung er erkannte und zu schätzen wußte, zumindest eine Handwerkslehre als Schuhmacher; eine weitere Schulausbildung war nicht finanzierbar.
Nach den Lehrjahren von 1826 bis 1829 beim Schuhmachermeister Meuser in Kerpen führten die Gesellen- und Wanderjahre den gerade 20jährigen Kolping nach Köln. Seine Arbeitszeugnisse waren gut, nur einen Vorwurf mußte er sich gefallen lassen: "Wenn der Kerl doch die Nase aus den Büchern lassen würde." Kolping war ein wissensdurstiger Büchernarr, der jede freie Minute für Lektüre nutzte und alles las, was ihm zugänglich war. Während dieser Gesellenjahre in verschiedenen Orten und Werkstätten - vor allen aber in Köln - lernte Kolping, obwohl er in einem der führenden Handwerksbetriebe arbeitete, das soziale Elend der Handwerksgesellen kennen.
Kolping, der sich stets intensiv und kritisch mit der ihn umgebenden Wirklichkeit auseinandersetze, hatte es in den zehn Jahren seines Handwerkergesellendaseins erlebt, in welch schwieriger Lage und Umbruchsituation sich das Handwerk befand.
Die Gewerbefreiheit, im wesentlichen ermöglicht durch das Edikt des Freiherrn vom Stein 1807, hatte sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dahin entwickelt, daß Tausende von Handwerksgesellen arbeitslos herumgezogen und in den Sog der allgemeinen Proletarisierung mit hineingerissen wurden. Der Konkurrenzkampf der Handwerksbetriebe untereinander, der nach dem Wegfall der Zunftordnung keiner Regelung mehr unterlag und ungehemmt tobte, und der sich immer mehr verschärfende Konkurrenzkampf - eigentlich ein Existenzkampf - gegen die aufkommenden Industriebetriebe mit den maschinell gefertigten und deshalb billigeren Massenprodukten förderten den Ruin der Handswerksbetriebe und das Absinken der Gesellen ins sich allmählich herausbildende Industrieproletariat. "Freie" Handwerker wurden zu abhängigen Lohnarbeitern. Die nun auch im Handwerk "notwendigerweise" einsetzende "kapitalistische" Profitorientierung führte dazu, daß Arbeits- und privater Lebensbereich immer mehr auseinanderfielen. Für die Handwerksgesellen brachte dies einschneidende und umwälzende Veränderungen mit sich. Die Aufhebung der traditionellen Bindungen und Regelungen des Zunftwesens machte die Gesellen zwar unabhängig, aber auch "vogelfrei": Die bisherige Integration in den Haushalt und die Familie des Meisters fiel nun weg; außerhalb der Arbeitszeit blieben sie sich selbst überlassen. Als bezahlte Arbeitskraft waren sie jeglicher Verpflichtung gegenüber und vom Meister her entbunden.
An Arbeiterschutzgesetzen gab es damals in Deutschland nur das Gesetz von 1839, das die Arbeit von Kindern unter neun Jahren in Fabriken und Bergwerken verbot.
Wirtshaus, Kneipe und Herberge wurden unvermeidlich zum "Lebensraum" der Gesellen außerhalb ihrer Arbeitsstätte.
Die persönliche und soziale Entwicklung der Handwerksgesellen war bald gekennzeichnet von Verwilderung, Sittenlosigkeit und Entchristlichung, was dazu führte, daß der "anständige Bürger" jedem Kontakt mit den Handwerksgesellen aus dem Wege ging.
Kolping führte diesen Niedergang vor allem auf die Herauslösung aus einem festen Ordnungsgefüge zurück, auf das Sich-selbst-überlassen-Sein der Gesellen mit der Folge der sittlichen Verwahrlosung und religiösen Entwurzelung, also den Verlust einer festen Lebenshaltung und klarer Orientierungsmaßstäbe.
Die diffus-hilflose Radikalisierung der Gesellen wurde gespeist von ihren Erlebnissen und Kontakten auf ihren Wanderschaften mit den ersten Ansätzen "kommunistischer" Vereine jenseits der Grenzen des Deutschen Bundes, vor allem in der Schweiz und in Frankreich, und durch die nationale Volksbewegung, die durch die fränzösische Julirevolution von 1830 Auftrieb erhielt.
Vor allem in Südwestdeutschland fanden zahlreiche Versammlungen statt, auf denen sich bereits demokratische Forderungen artikulierten.
Höhepunkt war das Hambacher Fest bei Neustadt an der Haardt im Jahr 1832 aus Anlaß der Feier des Jahrestags der bayerischen Verfassung von 1818, doch es wird zu einer Demonstration für Freiheit und Einheit, wie sie Deutschland bisher noch nicht erlebt hatte. Annähernd 30 000 Menschen aus allen Teilen Deutschlands nahmen teil - eine außerordentliche Zahl, wenn man bedenkt, daß eine Großstadt wie Frankfurt am Main damals ca. 40 000 Einwohner hatte. Vor allem Kleinbürger, Handwerker, Studenten und Bauern beteiligten sich an dem Fest, das mit einem Zug aller Anwesenden auf die Burgruine Hambach begann; dabei wurden schwarzrotgoldene Fahnen mit der programmatischen Inschrift "Deutschlands Wiedergeburt" mitgetragen.
Die Kundgebung mit mehr als zwanzig prominenten Rednern war Ausdruck des Zorns über die Zerstückelung Deutschlands, der Erbitterung über den Druck der Fürsten und der materiellen Not der unteren Schichten. Wohlfahrt, Freiheit und Einheit sollten Gestalt gewinnen in einem deutschen Nationalstaat. Doch man konnte sich auf kein gemeinsames Programm einigen, der Plan, eine effektive politische Organisation zu schaffen, scheiterte.
Die reaktionären Kräfte im Deutschen Bund antworteten auf die Hambacher Kundgebung mit einer Verhaftungswelle, und drakonische "Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bund" wurden mit staatlichen Überwachungsmethoden durchgesetzt.
Die Farben Schwarz-Rot-Gold, Ausdruck der liberalen und demokratischen Opposition, durften bis zur Revolution von 1848 nicht mehr öffentlich gezeigt werden.
Es waren die bewegten Jahre des Vormärz im Deutschland der Jahre von 1815 bis 1848 mit all den wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich, kulturell, philosophisch und künstlerisch "revolutionären" oder "restaurativen" Tendenzen, die das Bewußtsein von Adolph Kolping prägten. In diesen gesellschaftspolitischen Krisenjahren einer sich konstituierenden Nation und neuen Gesellschaftsordnung eskalierte auch die lebenswegentscheidende biographische Krise Kolpings.
Kaum hatte er 1832 Arbeit in einer Kölner Schuhmacherwerkstätte gefunden, da starb am 4. Juli 1833 seine Mutter im Alter von 59 Jahren. Ein schwerer Schlag für den 20jährigen Kolping.
"Ich verlor meine unvergeßliche Mutter in einer Zeit, wo sie mir, menschlicher Berechnung zufolge, am unentbehrlichsten schien."
In einem Gedicht von 26 Strophen, das erste, das Kolping überhaupt schrieb, ein wenn auch "mangelhaftes Denkmal kindlicher Liebe", drückt er seinen Schmerz und seine Trauer über den Verlust der Mutter aus. (Im Film werden die Strophen 1/10/20 und 25 dieses Gedichts von Kolping am Grab seiner Mutter gesprochen). In Köln trennte sich Kolping von seinem Handwerksmeister, der ihn mit seiner einzigen Tochter verheiraten wollte.
Für Kolping, der schon andere Pläne im Kopf hatte, stand fest: "Das Opfer muß gebracht werden. Noch ein paar Wochen, und ich verließ eine brave, durchaus christliche Familie, die sich dadurch glücklich machen wollte, daß sie mich glücklich machen wollte."
Kolping hatte sich entschieden, Priester zu werden. Obwohl seine Entscheidung vom Kerpener Pfarrer Joeken mit den Worten "Schuster bleib bei deinem Leisten" abqualifiziert wurde, arbeitete Kolping jahrelang in autodidaktischen Studien - neben und nach der Arbeit als Schustergeselle - so intensiv, hart und konsequent an sich, daß er schwer erkrankte und sich auf ärztliche Anweisung hin zu Hause in Kerpen auskurieren mußte. Dort erfuhr er die tatkräftige, auch finanzielle Unterstützung des neuen Kerpener Kaplans Theodor Wollersheim, der ihn zu systematischen Studien anleitete und ihm dabei half.
Im Herbst 1837 wurde Kolping - 24 Jahre alt - gleich in die Tertia des Marzellengymnasiums zu Köln zu 14jährigen Knaben aufgenommen. Eine Durststrecke von nahezu zehn Jahren Schule und Studium lag vor ihm.
Den Neubeginn ging Kolping mit großem Ernst an; am 4. November 1837 notierte er in sein Tagebuch: "... erst will ich mich bestreben, Mensch zu sein, die hohe Bestimmung desselben begreifen zu lernen, zu der ich geboren ward; die Pflichten des Menschen erkennen und erfüllen lernen, die ihn gerecht machen, unter seinen Brüdern zu leben und für sie zu wirken."
Auch der Schulalltag forderte von Kolping Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen; am 6. Dezember 1839 schreibt er seinem Freund Karl Statz: "Da sitze ich tage- und nächtelang an einfältigem, läppischen Zeuge, vertrödele meine Zeit ... und in mir nagt und drängt es, und ich muß alles überhören und den Schneckenpfad gymnasiastischer Pädagogik kriechen wie die anderen und noch lustig dabei sein."
Zu vielem Lustigsein hatte Kolping aber weder Zeit noch Gelegenheit; sein Schulgeld und den Lebensunterhalt verdiente er sich durch Nachhilfestunden, und bei der für selbstverständlichen Krankenpflege an einem an Blattern erkrankten Schustergesellen infizierte er sich selbst, erkrankte schwer, wurde aber - mit irreparablen Gesundheitsschäden - von den Blattern geheilt.
Nach dreieinhalb Jahren - die Regelschulzeit waren fünf Jahre - bestand Kolping das Abitur. Am 3. April 1841 entließ ihn die königliche Prüfungskommission zu Köln "mit den besten Wünschen, daß er sein mit solchem Ernste und so vielen Entbehrungen erstrebtes Ziel glücklich erreichen und den Segen an sich selbst erfahren möge, den er anderen zu erwirken berufen werden wird". Eine prophetische Formulierung.
Vor dem Abitur, am 25. Februar 1841, hatte Kolping seinen Lebenslauf abgefaßt, sein Curriculum Vitae (das er im Film seinem Freund und Förderer Kaplan Wollersheim als "Konzept" erläutert und mit ihm bespricht).
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