Im November 2024 hat ein Kolpingbruder unseren Generalpräses besucht, der für Kolpingsfamilien in weltweit 60 Ländern Verantwortung trägt. Der Kolpingbruder brachte 30.000 Euro als Spende nach Köln. Kein alltäglicher Vorgang, aber auch nicht ungewöhnlich im Kolpingwerk. Warum? Hier die Erklärung:
Die wahre Geschichte, die ich jetzt erzähle, ist für Menschen außerhalb des Kolpingwerkes vielleicht noch interessanter ist als für Insider. Die Story erklärt die tiefe Verbundenheit vieler Mitglieder mit dem Verbandsgründer und seinem Werk. Adolph Kolping ist viel bedeutender und einmaliger als viele wissen. Und er macht auch nach 200 Jahren vielen Menschen Mut. Und vor allem: Er verschafft eine Perspektive. Wer das erlebt, wird dankbar und gibt zurück.
Dass Adolph Kolping Priester wurde, ist bereits ein „Wunder“, also ein Ereignis, dessen Eintreten so unerwartet ist, dass es nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit (eigentlich) nicht eintreten kann. Die Eltern Kolpings sind arme Leute, ihr einziger Reichtum sind die zahlreichen Kinder und ihr tiefer katholischer Glaube. Der Vater arbeitet als Lohnschäfer, die Mutter als Hausfrau. Den Besuch eines Gymnasiums oder gar ein Studium können sie unmöglich finanzieren. So macht Adolph Kolping eine Ausbildung als Schuhmacher; auf der beruflichen Wanderschaft kommt er als Geselle nach Köln. Ohne Abitur und finanziellen Rückhalt hat er eigentlich keine Chance, seiner Priesterberufung zu folgen. Es gibt weder Abendschule oder Abitur auf dem zweiten Bildungsweg noch ein BaFöG. Adolph Kolping gelingt dennoch das eigentlich Unmögliche. Nach seiner Priesterweihe versetzt ihn der Kölner Erzbischof nach (Wuppertal-)Elberfeld, der damals am meisten industrialisierten Region Deutschlands.
Hier erlebt der junge Kolping ein Deja-vu: Es wiederholt sich, was er selbst als Handwerksgeselle hautnah erlebt hat. Unzählige junge Handwerker und Industriearbeiter befinden sich am Rande der Verelendung. Und jetzt kommt der „springende Punkt“: Kolping leistet weder caritative Fürsorgearbeit noch ruft er zu Umsturz und Revolution auf (wie damals seine Zeitgenossen Karl Marx und Friedrich Engels in Köln und dem Tal der Wupper). Kolping entwickelt einen völlig neuen, bis heute bewunderten dritten Weg: die Befähigung und Selbstorganisation der Betroffenen!
Das klingt trocken und ist erklärungsbedürftig. Es ist aber die Voraussetzung für die 30.000-Euro-Spende und erklärt ihren Werdegang! Adolph Kolping hat erlebt: Wenn entgegen aller scheinbaren Unmöglichkeit und durch Aufbietung und Weiterentwicklung vorhandener Kräfte aus dem mittellosen Sohn eines Tagelöhners ein Priester werden kann, dann kann auch aus wenig gebildeten jungen Männern in prekären Arbeitsverhältnissen ein erfolgreicher selbständiger Handwerker und Geschäftsmann werden, der eine eigene Familie gründet.
Die Basis liefert der christliche Glaube. Er bewahrt die gefährdeten Jungmänner davor, kurzfristigen Verlockungen nachzugehen, die in die Sackgasse führen. Denn viele Handwerksgesellen und Jungarbeiter landen in Alkoholsucht und damit in der Verschwendung ihrer knappen Mittel. Der christliche Glaube öffnet vielmehr den Blick für die Wahrheit und verschafft innere Stabilität.
Dann folgt der wohl entscheidende Schlüssel: Weiterbildung. Adolph Kolping wird zu ihrem Pionier. Er lebt in einer Zeit geringster Durchlässigkeit zwischen den Gesellschaftsschichten: Bauer bleibt Bauer, Handwerker bleibt Handwerker, Privilegierter bleibt Privilegierter. Denn von der jeweiligen Bildung hängt das weitere Fortkommen ab. Und wer einen schlechten Start erwischt, hat Pech. Ein Ausweg erscheint unmöglich.
Adolph Kolping gründet Gesellenvereine und verbreitet das Konzept des damit verbundenen Gesellenhauses: Der Verein schafft das organisatorische und strukturelle Fundament. Die Gesellen gründen so etwas wie eine tragfähige Selbsthilfe-Gruppe, die zu dieser Zeit noch nicht erfunden worden ist. So tauschen sie sich untereinander aus und geben sie sich gegenseitig Halt. Das allein reicht dem Sozialreformer Kolping nicht: Er leitet zur Weiterbildung an. Das geschieht zunächst im Rechnen und Schreiben; es setzt sich fort in religiöser Bildung und Vertiefung. Dann aber kommt die fachliche Weiterbildung im jeweiligen Handwerk hinzu.
Eine zentrale Rolle übernehmen die Gesellenhäuser. Sie bilden einen Treffpunkt, stellen Räume der Begegnung zur Verfügung und bieten Instrumente der Weiterbildung, anfangs durchaus noch mit bescheidenen Instrumenten wie Zeitschriften und Bücher. Vor allem bieten die Gesellenhäuser den Handwerksgesellen eine Heimat auf ihrer Wanderschaft.
Kolpings Konzept würde heute als „Selbstorganisation der Betroffenen“ bezeichnet. Er weckt ungeheure Kräfte der Selbst- und Gemeinschaftshilfe. Junge Menschen werden ermutigt und befähigt, die in ihnen selbst schlummernden Fähigkeiten und Talente zu entfalten und sich gegenseitig zu befähigen. Denn sie erkennen eine Perspektive, die eine große Anstrengung belohnt.
So entwickeln sich aus absturzgefährdeten Handwerksgesellen erfolgreiche Meister und Kleinunternehmer. Viele bringen es daraufhin nicht nur zu ansehnlichem Wohlstand, sondern zeigen auch Dankbarkeit und manche legen dem Generalpräses 30.000 Euro auf den Tisch, damit eine gute Idee auch heute Früchte bringt. So einfach ist das!
Martin Grünewald
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