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Grundlage und Ziel aller christlichen Bildung (1854)

Gottes Bild und Gleichnis!

Lieber Leser, der du nach Bildung strebst oder vielleicht schon ziemlich hohe Ansprüche darauf machst, schau dir den Satz, diese unermesslich tiefsinnige Wahrheit, die der Mensch nicht erfunden, sondern Gott geoffenbart hat, nur recht ruhig, bedächtig und lange an, denn auf dieses Fundament bist du gebaut und demnach hast du deine Grundform erlangt und daran kannst du nichts ändern und ich nicht und selbst die nicht, die es gern leugnen möchten...

Von diesem „Bilde“ nämlich kommt's „Bilden“, wie man leicht einsehen kann. Die Grundform im Menschen, die er, obwohl noch unvollkommen, noch unausgeprägt, noch nicht hell und klar, aber doch wesentlich mit auf die Welt bringt, weist auf unsern Herrgott so direkt zurück, wie das Bild der Sonne im Tautropfen auf die Sonne zurückweist und ohne diese Sonne nicht existiert und geradeso existiert, wie es existiert, weil die Sonne eben die Sonne ist. Wer nun die Sonne nicht kennt, der kann das Bild der Sonne sich auch nicht vorstellen und wird es auch nirgend erblicken. Ja, um sagen zu können, das ist ein Bild der Sonne, muss ich vorerst wissen, wie die Sonne selber aussieht, und um sagen zu können, der Mensch sei ein Bild seines Schöpfers, muss er wenigstens hinreichende Kunde vom Schöpfer selber haben.

Deshalb hat der Schöpfer sich noch eher dem Menschen selber geoffenbart, als er ihm gesagt hat, dass er ihn nach seinem Bilde geschaffen. Demnach kann keiner vom Ebenbild Gottes im Menschen mit Verstand reden, der von Gott keine vernünftige Erkenntnis hat. Und vom „Bilden“, von der „Bildung“ kann gar keine vernünftige Rede sein, wenn der Mensch nicht zuallererst weiß, was gebildet wird und wonach gebildet werden soll.

Da Gott das Urbild ist, der Mensch das Ebenbild und Gleichnis, und zwar durchaus kein perfektes, schon von vornherein vollendetes, sondern erst ein in der Grundform, der Bildung anheim gegebenes Wesen in dieser Welt erscheint, so ist unstreitbar wahr und klar, dass aller wirklichen und wahrhaften Bildung des Menschen die Gotteserkenntnis vorausgehen muss, noch mehr, dass eben nach dem Maße der Gotteserkenntnis das Maß der Bildung kann gemessen werden und ohne ein Näherrücken Gottes ein Fortschreiten in der Bildung gar nicht möglich ist. Das Bild und Gleichnis Gottes im Menschen, was so recht eigentlich sein Wesen konstituiert und bedeutsam angibt, soll durch Bildung zur Ähnlichkeit mit Gott weitergeführt, schärfer, bestimmter ausgeprägt, ja bis zu jener Vollendung emporgehoben werden, die das Bild dem Urbilde gegenüber nur erreichen kann. Ja, werdet vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Das ist die göttliche Grundregel aller wahren Bildung.

(Brauer, S. 110f) zitiert nach Kirche und soziale Frage – Themen und Texte. Hrsg. Hubert Mockenhaupt, 1987