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Kapitel 2 - Der Verband entsteht (1849-1851)
– Teil 1

2.1 Verbandsgründung 1850

Im April 1849 trat Adolph Kolping seine Stelle als Domvikar in Köln an, und schon am 6. Mai konnte die Gründung des Kölner Gesellenvereins stattfinden. Seine Entstehungsgeschichte einschließlich der von Kolping bereits von Elberfeld aus unternommenen Bemühungen ist mittlerweile ebenfalls hinreichend genug aufgearbeitet ist, so daß auch an dieser Stelle nähere Darstellungen unterbleiben können. Wichtig für die weitere Verbandsgeschichte wurde vor allem die Tatsache, daß dem Kölner Verein seit dem Jahre 1850 die Rolle eines ‚Zentralvereins‘ für den ganzen Verband zufiel (s.u.).

Schon im Herbst des Jahres 1849 entstand in Düsseldorf der dritte Gesellenverein, im Laufe des Jahres 1850 kamen die Vereine in Bonn und Hildesheim hinzu. Die Initiative zu diesen Gründungen war in Düsseldorf vom späteren Präses Keberlet ausgegangen, angeregt durch Kolpings Schrift ‚Der Gesellenverein‘, in Bonn vom St.Vinzenz-Verein, in Hildesheim von einigen Gesellen, die über den Pius-Verein Kenntnis von den ersten Gründungen erhalten hatten. Eben dies belegt die von Anfang an gegebene Vielfalt an Einflußfaktoren für die Ausbreitung des Werkes.

Diese drei ältesten Vereine schlossen sich am 20. Oktober 1850 in Düsseldorf zum ‚Rheinischen Gesellenbund‘ zusammen; die entsprechende Versammlung wurde im nachhinein als ‚Erste Generalversammlung der Vorstände des Gesellenbundes‘ bezeichnet und wird in der heute üblichen Chronologie des Internationalen Kolpingwerkes mit Recht als erste (I.) Generalversammlung der Verbandsgeschichte geführt. Der 20. Oktober 1850 kann und muß also als eigentliches Gründungsdatum des Kolpingwerkes als Verband gesehen werden, d.h. als überörtlicher Zusammenschluß lokaler Vereine mit entsprechender struktureller resp. satzungsmäßiger Ausformung. Unter formaler Rücksicht war die Verbandsgründung allerdings zunächst nur ein Zusammenschluß auf einzelstaatlicher, nämlich preußischer Ebene; erst später ist diese mit politischen Rücksichten begründete Beschränkung aufgegeben worden. An der Gründungsversammlung nahmen elf Personen teil, darunter neben den Präsides Kolping, Keberlet (Düsseldorf) und Herkenrath (Elberfeld) acht Laien aus dem Kreis der Vorstandsmitglieder bzw. Mitglieder der teilnehmenden Vereine, zu denen für Elberfeld auch Johann Gregor Breuer gehörte.

Bereits im Februar 1850 hatte Kolping sowohl im Westphälischen Kirchenblatt als auch im Rheinischen Kirchenblatt die Veröffentlichung des Entwurfs eines ‚Allgemeinen Vereinsstatuts‘ angekündigt und dabei zur Erläuterung resp. Begründung ausgeführt: Binnen möglichst kurzer Frist, jedenfalls noch vor Ostern d. J., wird der Vorstand des hiesigen Gesellenvereins das mittlerweile gedruckte Statut veröffentlichen. Soeben bin ich mit den Vorarbeiten beschäftigt, und wird die Beratung desselben nächster Tage beginnen. Wir glauben, zu den alten, in Elberfeld gemachten Erfahrungen neue gewonnen zu haben, die auch für andere von Nutzen, jedenfalls von Interesse sein können. Zum Teil sind sie im Statut unseres Lokalvereines niedergelegt. Nun aber beabsichtigt der hiesige Vorstand zugleich, ein allgemeines Vereinsstatut als Vorlage zu veröffentlichend, was die einzelnen Vereine unter sich in einen lebendigen und gedeihlichen Verband zu bringen beabsichtigt. Der definitiven Feststellung dieses allgemeinen Vereinsstatuts könnte und müßte eine vielseitige Besprechung und Erwägung, meinetwegen in den öffentlichen Blättern, und zum Schluß eine mündliche Beratung vorhergehen, damit man über die Grundprinzipien und Haupteinrichtungen eine allgemeine Einigung zustandebrächte. Neben lokaler Mannigfaltigkeit bliebe dadurch die Einheit dem Werke gesichert. Es bedarf kaum der Erwägung, wie wünschenswert, ja wie notwendig eine solche lebendige Verbindung der Gesellenvereine untereinander ist, soll ihr eigentlicher Zweck, Schutz und Pflege des Gesellenlebens, auch nur annähernd erreicht werden. Bevor man also anderwärts zur Bildung von Gesellenvereinen schreitet, wolle man doch auf unseren Plan der Vereinigung der Vereine mögliche Rücksicht nehmen. Wir sind gern bereit, diese Vereinigung, soviel sich nur tun läßt, zu aller Zufriedenheit ins Werk setzen zu helfen. Weil wir dringend und von ganzem Herzen wünschen, daß man sich allerwärts der Gesellen in wahrhaft christlicher Weise annehme, weil wir jede Störung im Fortgange dieses Werkes um jeden billigen Preis vermeiden möchten und glauben, unsere mehrjährigen Erfahrungen bei demselben zum Nutzen anderer mitteilen zu müssen, werden wir das allgemeine Vereinsstatut als Vorlage bereits in den nächsten Wochen durch die öffentlichen Blätter mitteilen. Mögen alle Freunde der guten Sache mit Rat und Tat mitwirken, daß wir ein gesundes und kräftiges Werk zustande bringen, das in unserer Zeit so sehr nottut und unsere Nachkommen segnet.

Der angesprochene Entwurf (‚Vorlage‘) wurde noch im gleichen Monat in der Zeitschrift ‚Deutsche Volkshalle‘ veröffentlicht, verbunden mit dem Hinweis, das „Bundesstatut“ solle „bis zur nächsten Generalversammlung im Herbste dieses Jahres“ in Kraft treten, „wenn drei Lokalvereine damit einverstanden sind.“ Zugleich wurde eine Erklärungsfrist bis zum 1.5.1850 festgesetzt. Nachdem die Vereine von Elberfeld, Köln und Düsseldorf ihr Einverständnis gegeben hatten, konnte die Einladung zur Gründungsversammlung des Verbandes herausgehen.

 

Kolpings Bericht über die Versammlung führt zur Begründung des Zusammenschlusses (d.h. der Verbandsgründung) aus: Am 20. Oktober versammelten sich zu Düsseldorf nach vorhergegangener freundlicher Einladung des Präses des Kölner Gesellenvereins die Vorstände der Gesellenvereine von Köln, Elberfeld und Düsseldorf, um das unter dem 2. Februar d[es] J[ahres] entworfene, am 16. Februar in der ‚Deutschen Volkshalle‘ mitgeteilte ‚allgemeine Vereinsstatut des Rheinisch-Westfälischen Gesellenbundes‘ als Bundesstatut zu beraten und definitiv festzustellen. In der Einleitung wurde damals gesagt, daß ‚bei der Bildung und Leitung dieser Vereine es augenfällig geworden, daß sie, wären sie bloß auf sich allein hingewiesen, ohne lebendigen Verband mit Vereinen anderer Städte, welche dasselbe Ziel verfolgen, nicht dasjenige auszurichten vermöchten, was sie eigentlich wollen. Dem Gesellen soll in dem Vereine eine Art Heimat bereitet werden, ein Familienhaus soll ihn aufnehmen, worin er Ausbildung, Schutz und Pflege findet; dies aber nicht bloß an einem Orte, sondern überall, wohin sein wandernder Sinn ihn führt und neue Arbeitslust ihn festhält. Überall sollen gleichgesinnte Brüder sich seiner annehmen, überall dieselbe liebende Sorge um ihn wandeln, die er am früheren Orte zurückgelassen. Fremd soll sich der Geselle endlich in keiner Stadt Rheinlands und Westfalens mehr einen Tag lang finden; wie überall sich ihm eine freundliche Hand entgegenstreckt, ist er einmal in den Bund, den wir zu schließen beabsichtigen, aufgenommen, so soll ein sorglich' Auge stets über ihm wachen. Damit das aber möglich und wirklich werde, müssen die einzelnen Vereine in eine freundschaftliche Verbindung untereinander treten und einen lebendigen Verkehr untereinander zu erhalten suchen. Dies wird aber nicht möglich sein, wenn sie nicht zuerst sich über bestimmte Grundsätze einigen, welche als allgemeines Bundesstatut für jeden Lokalverein leitende Norm seiner Einrichtung und Leitung sein müssen‘.

Notwendigkeit und Funktion des Verbandes werden also begründet bzw. definiert als ‚Instrumentarium‘ zur gemeinsamen und verbindlichen Festlegung allgemeiner Grundsätze (Regelungen), und zwar sowohl für die im weitesten Sinne verstandene Zusammenarbeit der bestehenden Vereine als auch für die einzelnen Vereine selbst, damit diese ihre Aktivitäten an einer gemeinsamen Zielvorgabe ausrichten konnten, damit sie ihren ‚lebendigen Verkehr untereinander‘ auf der Basis gleicher und damit auch verläßlicher Regelungen pflegen konnten und damit in der Konsequenz die Mitglieder überall auf weitgehend gleiche oder vergleichbare Rahmenbedingungen treffen konnten. Bis in die Gegenwart sind diese Elemente konstitutive Merkmale verbandlicher Satzungen auf der überörtlichen Ebene, unbeschadet ihrer Entwicklung im Wandel der Zeit.

Adolph Kolping wurde nach der Beschlußfassung über das sog. ‚Bundesstatut‘ zum Präsidenten des Rheinischen Gesellenbundes gewählt, „die Wahl der übrigen Mitglieder des Zentralvorstandes blieb dem Vorstande des Kölner Vereins vorbehalten“, der nach Statut als ‚Zentralverein‘ fungieren sollte. Leider geben die vorhandenen Quellen keinerlei Auskunft über die Umsetzung dieses Beschlusses. Weitere Beschlußfassungen betrafen die Erstellung eines Vereinsliederbuches, mit der J.G. Breuer betraut wurde, die Erwählung des heiligen Joseph zum Patron des Bundes sowie die Einführung eines ‚Bundesfestes‘, das von den Vereinen „an einem ihnen passenden Sonntage“ gehalten werden sollte, und zwar „mit gemeinschaftlicher Kommunion und entsprechenden sonstigen Feierlichkeiten.“

 

2.2 Allgemeine Statuten

Das von der ersten Generalversammlung beschlossene ‚Allgemeines Statut des Rheinischen Gesellenbundes‘, häufig auch als ‚Bundesstatut‘ bezeichnet, stellt die erste und damit älteste Fassung des heutigen Generalstatuts des Internationalen Kolpingwerkes dar. Die grundlegende Bedeutung dieses Dokumentes macht es sinnvoll, es hier im vollen Wortlaut wiederzugeben:

 

Allgemeines Statut des Rheinischen Gesellenbundes

Vorstand

§ 1 Jeder Lokalverein besteht aus einem selbständigen Vorstande, der zum Teil nicht zum Gesellenstande gehört, und aus den Vereinsmitgliedern. Zum Vorstande müssen indes immer einige Gesellen durch freie Vereinswahl beigezogen werden.

§ 2 Zum Vorstande gehören die vom Vorstande selbst gewählten Mitglieder, welche im Vereine für die Förderung des Vereinszweckes tätig sind. An seiner Spitze steht ein vom Vorstande gewählter Präses, welcher immer ein katholischer Geistlicher sein muß.

§ 3 Der Vorstand steht mit väterlicher Gewalt über dem Vereine, welche Gewalt sich im Präses vereinigt. Der übrige Vorstand vertritt die Stelle eines Familienrates.

§ 4 Die Erteilung des Unterrichts wie jede für den Verein von selten des Vorstandes aufzunehmende Mühe muß unentgeltlich geschehen.

§ 5 Jeder Lokalverein hat volle Freiheit, seine innere Organisation nach dem Ortsbedürfnis einzurichten. Nur müssen stets die allgemeinen Vereinsstatuten gebührend berücksichtigt werden.

§ 6 Kein Lokalverein darf gestatten, daß sich in ihm besondere Verbindungen von Mitgliedern gestalten, wozu der Beitritt nicht jedem Mitgliede des Vereins offensteht.

§ 7 In jedem Lokalverein bleibt die Behandlung der Politik und gehässiger religiöser Polemik untersagt. Unter diesem Ausschluß der Politik ist nur die Gewerbegesetzgebung nicht mit einbegriffen .

 

Mitglieder

§ 8 In den Rheinischen Gesellenbund resp[ektive] in jeden Lokalverein können nur Gesellen resp[ektive] Junggesellen aufgenommen werden. Jedes aufzunehmende Mitglied muß wenigstens achtzehn Jahre alt sein. Einzelne Ausnahmen können nur durch Zustimmung der Mitglieder gestattet werden.

§ 9 Die Vereinsmitglieder haben völlig gleiche Rechte und Pflichten. Wer den sittlichen und statutenmäßigen Anforderungen des Vereins genügt, hat, wie das Recht zum Beitritt, so auch freien Zutritt zu jedem Lehrfache des Vereins, wozu er Neigung und Geschick besitzt.

§ 10 Kein Mitglied des Gesellenvereins darf einem anderen Vereine angehören, welcher einen Zweck verfolgt, der dem Vereinszwecke des Bundes zuwider ist.

§ 11 Nur dem Vorstande steht es zu, über den etwaigen Ausschluß eines Mitgliedes zu entscheiden.

§ 12 Jedes förmlich aufgenommene Mitglied eines Lokalvereins ist zugleich Mitglied aller übrigen in den Rheinischen Gesellenbund aufgenommenen Vereine.

§ 13 Wer als Mitglied zu dem Vereine eines anderen Ortes übergeht, muß berufe seiner sofortigen Zulassung sich mit der Karte oder mit dem Entlassungszeugnisse des verlassenen Vereins ausweisen.

§ 14 Die Mitglieder der einzelnen Vereine untereinander und die Vereine des Rheinischen Gesellenbundes gegenseitig verpflichten sich zu Schutz und Pflege, welche Sorge den Mitgliedern von Brüdervereinen besonders zugewendet werden muß.

§ 15 Wer, aus was für Gründen immer, aus einem Vereine des Gesellenbundes förmlich ausgestoßen ist oder wer seine Verpflichtungen gegen den verlassenen Verein nicht pünktlich bis zum Austritt erfüllt hat, kann in einen anderen Bruderverein weder aufgenommen noch zugelassen werden, bevor er den Grund seiner Ausweisung nicht beseitigt resp[ektive] seine Verpflichtungen erfüllt hat.

 

Verbindung der Vereine untereinander

§ 16 Die Gesellenvereine von Köln, Elberfeld und Düsseldorf vereinigen sich auf den Grund vorstehender Paragraphen zu einem ‚Rheinischen Gesellenbunde‘ und wählen als Mittelpunkt ihrer Einheit und Wirksamkeit einen Zentralverein mit besonderem Zentralvorstande. Der Kölner Verein ist Zentralverein.

§ 17 Der Zentralvorstand, bestehend aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, drei Beisitzern, wovon zwei Gesellen sein müssen, und dem Sekretär, hat a) dafür nach Kräften zu sorgen, daß die Lokalvereine des Gesellenbundes treu und gewissenhaft das Bundesstatut befolgen, b) die Statuten der Lokalvereine vor ihrer Annahme durch die Mitglieder genau zu prüfen, ob sie nichts gegen das Bundesstatut enthalten und ob sie überhaupt im Geiste der Vereinigung abgefaßt sind, c) den Lokalvereinen von dem Beitritte neuer Vereine binnen vierzehn Tagen vom Tage der Anmeldung an durch das ‚Vereinsorgan des Rheinischen Kirchenblattes‘ Nachricht zu geben, d) zu den Generalversammlungen der Vereinsvorstände jährlich rechtzeitig einzuladen und e) in zweifelhaften Fällen oder bei Konflikten, die sich in Lokalvereinen erheben und man seine Vermittlung anruft, mit brüderlichem Rate zur Hand zu gehen.

NB In die inneren Angelegenheiten eines Lokalvereins sowie in Zwistigkeiten, welche zwischen Mitgliedern unter sich und zwischen Mitgliedern und einem Vorstandsmitgliede entstanden sind, hat der Zentralvorstand sich nicht zu mischen.

§ 18 Nur solche Gesellenvereine werden in den Rheinischen Gesellenbund aufgenommen, welche das gegenwärtige Bundesstatut vom Zentralvorstande annehmen und sich an dasselbe verpflichten.

 

Gegenüber dem im Februar 1850 veröffentlichten Statutenentwurf (s.o.) weist die beschlossene Fassung nur zwei Änderungen auf, nämlich dahingehend, daß zwei (statt im Entwurf einer) der drei Beisitzer des Zentralvorstandes Gesellen - also im engeren Sinne Vertreter der Mitglieder - sein mußten, sowie die im § 10 zusätzlich festgelegte ‚Unvereinbarkeitsklausel‘ hinsichtlich verschiedener Mitgliedschaften. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß im Bundesstatut die ausdrückliche Erwähnung der von Anfang an selbstverständlichen Beitragsverpflichtung für die Mitglieder fehlt, auch wenn sie indirekt im § 15 mit dem Hinweis auf bestehende Verpflichtungen angesprochen ist. Einige kommentierende Hinweise zum Statut sind hier angezeigt, vor allem unter dem Aspekt bisheriger Entwicklungen einerseits und einer fortwirkenden Bedeutung getroffener Regelungen andererseits.

Zum § 1: Für die ausdrücklich auf Nichtmitglieder ausgeweitete Vorstandszusammensetzung hatte bereits die Neufassung der Elberfelder Statuten aus dem Jahre 1848 einen entsprechenden Einstieg gebracht. Zugleich dürften auch die entsprechenden Regelungen des Kölner Gesellenvereins (s.u.) Pate gestanden haben.

Zum § 2: Die Wahl des Präses wie auch anderer Vorstandsmitglieder ist jetzt nicht mehr direkt durch die Mitglieder vorgesehen und auch nicht mehr zeitlich befristet. Auch dies entspricht den Bestimmungen der ältesten Kölner Statuten und verstärkt tendenziell eine Entwicklung, die - wie zu zeigen sein wird - über Jahrzehnte hinweg den Präsides eine absolut dominierende Position im Verein und dann erst recht in den überörtlichen Zusammenschlüssen eingeräumt hat. Diese Tendenz wird im § 3 nachdrücklich bestätigt.

Zum § 4: Hinter der ‚schlichten‘ Formulierung des unentgeltlichen Mittuns verbirgt sich tatsächlich die für das Kolpingwerk bis heute konstitutive Begründung des Ehrenamtsprinzips in den Leitungsaufgaben auf örtlicher wie überörtlicher Ebene!

Zum § 6: Die Frage nach Differenzierungen innerhalb des Vereins (Mitgliedergruppen, Abteilungen, etc.) hat in der Verbandsgeschichte immer wieder eine Rolle gespielt und wird deshalb auch später noch verschiedentlich anzusprechen sein. Ähnliches gilt für die Frage nach gleichen Rechten und Pflichten für alle Mitglieder (§ 9).

Zum § 7: Diese Thematik, also das sogenannte ‚Politik-Verbot‘, wird an späterer Stelle noch näher zu behandeln sein (s.u.).

Zum § 8: Mit der hier gewählten Formulierung ist die definitive Konzentration auf die (wandernden) Handwerksgesellen als schwerpunktmäßiger Zielgruppe des Verbandes auch satzungsmäßig festgestellt und festgeschrieben, wenn auch Ausnahmeregelungen im jeweiligen lokalen Kontext zugelassen sind (s.u.).

Zum § 10: Mit dieser Bestimmung liegt der erste Hinweis auf das Bemühen des Verbandes vor, zur Wahrung der eigenen Identität gewisse ‚Grenzmarkierungen‘ hinsichtlich der Verträglichkeit einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in verschiedenen Organisationen zu setzen. Derartige Ansätze finden sich in den verschiedensten Epochen der Verbandsgeschichte bis zur Gegenwart und werden entsprechend im weiteren Verlauf der Untersuchung noch anzusprechen sein.

Zum § 11: Auch hier ist eine im Prinzip bis heute gültige Festlegung getroffen: Jeder Verein hat die Möglichkeit zum Ausschluß von Mitgliedern; nähre Details für die einzelfallbezogene Umsetzung vorhandener (im Grundsatz definierter) Ausschlußgründe werden aber im Interesse der angemessenen Berücksichtigung tatsächlicher Gegebenheiten den Vereinen überlassen und nicht verbindlich vorgegeben.

Zum § 12: Diese Maßgabe ist ebenfalls bis heute Bestandteil des verbandlichen Selbstverständnisses; sie macht recht eigentlich den Verbandscharakter des Kolpingwerkes deutlich: Es gibt nur eine Mitgliedschaft, die zwar in der Regel in einem konkreten Gesellenverein (Kolpingsfamilie) erworben wird, die dann aber generell, d.h. letztlich weltweit, gilt. Dem entspricht auch der Hinweis im § 14.

Zum § 16: Die besondere Stellung des Kölner Vereins bot Kolping natürlich den entsprechenden Spielraum für sein verbandliches Engagement, und sie gab zwangsläufig der Praxis dieses Vereins eine beispielgebende Bedeutung für den ganzen Verband. Sie hat darüber hinaus noch über viele Jahrzehnte hinweg bei der Wahl des Generalpräses Bedeutung gehabt.

Zum § 17: Auch die ältesten Aussagen über Aufgaben eines Zentralvorstandes und damit der Ebene des Zentralverbandes beinhalten Elemente von grundlegender und dauerhafter Bedeutung, etwa hinsichtlich der Genehmigung von Satzungen oder der Einladung zu Versammlungen.

Zum § 18: Die Akzeptanz der Allgemeinen Statuten ist schließlich, wenn auch ggf. mit anderen Regelungsmechanismen versehen, ebenso bis heute konstitutiv für die Gründung eines örtlichen Vereins (Kolpingsfamilie) bzw. sein (ihr) Mittun im Verband.

 

Das Bundesstatut von 1850 beinhaltet, zusammenfassend betrachtet, Regelungen, die von grundlegender Bedeutung für die Verbandsarbeit waren und sind und denen bis heute Geltung zukommt, auch wenn sie im Wandel der Zeiten und damit auch des Verbandes selbst immer wieder Veränderungen in der praktischen Umsetzung erfahren haben. Bis in das 20. Jahrhundert hinein hat dieses Statut im Übrigen nur relativ wenige Veränderungen erfahren.

Im Vergleich zu den frühen Elberfelder Statuten bringt es eine deutlich gestärkte Stellung des Vorstandes und insbesondere des Präses mit sich und damit eine gewisse Minderung der ursprünglichen Partizipationsmöglichkeiten der Mitglieder in den Vereinsangelegenheiten. Zugleich läßt es aber, der entsprechenden Intention folgend, den einzelnen Vereinen einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum. Insofern fehlen in den Allgemeinen Statuten folgerichtig auch detaillierte Regelungen oder Anweisungen zur praktischen Vereinsarbeit (Unterricht, etc.). Das Kölner Statut vom Februar 1850 mit seinen insgesamt 48 Paragraphen ist ein bemerkenswertes Beispiel für die extensive Nutzung gegebener Gestaltungsmöglichkeiten, wo sich natürlich von Verein zu Verein spezifische Unterschiedlichkeiten herausbilden konnten oder mußten. Insgesamt beginnt hier der für die Verbandsgeschichte durchaus bedeutsame und spannende Prozeß eines immer wieder neuen Bemühens um Sicherstellung notwendiger Einheit einerseits bei zugleich sinnvoller Wahrung lokaler Vielfalt und Verschiedenheit andererseits.

 

2.3 Gesellenverein Köln

Erst im Februar 1850 gab sich der Kölner Gesellenverein ein eigenes Statut, auf dessen Grundlage dann die Vorstandswahl erfolgte. Die Vermutung liegt nahe, daß in der Zwischenzeit nach den Vorgaben der Elberfelder Statuten gearbeitet wurde. Tatsächlich fußt das Kölner Statut weitgehend auf den Elberfelder Grundlagen, wie sie im Wesentlichen bereits 1846 von Johann Gregor Breuer formuliert worden waren; substantielle Veränderungen resp. Weiterentwicklungen halten sich in Grenzen. In vielen Punkten ist dieses Statut allerdings konkreter und detaillierter als ältere Dokumente, Ausdruck eben der den einzelnen Vereinen zukommenden Freiheit, die eigenen Belange im lokalen Kontext angemessen zu regeln. Im Zusammenhang mit der vorgesehenen Veröffentlichung der Kölner Statuten hatte Adolph Kolping bemerkt: „Wir glauben, zu den alten, in Elberfeld gemachten Erfahrungen neue gewonnen zu haben, die auch für andere von Nutzen, jedenfalls von Interesse sein können.

Das Kölner Statut von 1850 wird hier vor allem unter dem Aspekt bemerkenswerter Abweichungen gegenüber der Elberfelder Satzung von 1848 einerseits und den Allgemeinen Statuten von 1850 andererseits in den Blick genommen:

Der Vereinszweck ist erweitert auf die „Heranbildung eines tüchtigen, ehrenwerten Meisterstandes“, wobei zu den entsprechenden ‚Mitteln‘ auch die „gegenseitige Hilfe in der Not“ genannt wird. Mit diesem Ansatz, der sich ja als ‚Leitmotiv‘ schon sehr früh in Kolpings Schrifttum findet, wird die schon angesprochene Positionierung des Gesellenvereins in einem größeren Zusammenhang anstehender, d.h. für notwendig erachteter sozialer Veränderung ausdrücklich bekräftigt.

Der Vorstand (§§ 1ff.) besteht „aus zwei Abteilungen“, nämlich dem ‚engeren Vorstand‘ und dem ‚Schutzvorstand‘. Beim engeren Vorstand sind neben dem Präses, dem Vereinsältesten und den Ordnern (Assistenten) neu eingeführt die Ämter des Vizepräses, der Hauptlehrer und des Sekretärs; der Schutzvorstand besteht „a) aus geeigneten, das Interesse des Vereins fördernden Bürgern der Stadt, b) aus solchen Wohltätern des Vereins, die sich durch einen bestimmten jährlichen Beitrag an den Kosten des Vereins beteiligen.

Der Präses wird ausdrücklich (§ 7) als „Vater des Vereins“ bezeichnet; ihm kommen weitreichende Aufgabe und Kompetenzen zu einschließlich der förmlichen Aufnahme von Neumitgliedern (§ 23ff.) und des Ausschlusses von Mitgliedern (§ 36). Er wird (§ 5) vom ‚Gesamtvorstand‘ (d.h. engerer Vorstand und Schutzvorstand gemeinsam) gewählt, und zwar „auf unbestimmte Zeit.“ Allerdings hat der Wahl die „Anfrage“ an die Vereinsmitglieder vorauszugehen, „ob die vorgeschlagenen Kandidaten ihnen genehm sind.“

Auch die übrigen Vorstandsmitglieder, mit Ausnahme der Assistenten, werden auf unbestimmte Zeit bestellt, und zwar der Vizepräses durch Ernennung seitens des Präses (§ 7), der Sekretär durch Wahl seitens des Vorstandes (§ 9), die Lehrer durch Wahl seitens des engeren Vorstandes (§ 8), der Vereinsälteste durch Wahl seitens der Mitglieder (§ 10).

Beim Vorstand ist halbjährig eine „besondere Sitzung des Gesamtvorstandes“ vorgesehen (§ 19), „um über die Beschaffung und Anwendung der nötigen Geldmittel Rat zu pflegen und Rechenschaft abzulegen“, wobei die Mitgliedervertreter (Senior und Ordner) allerdings ausdrücklich von der Teilnahme ausgenommen sind.

Im § 22 sind, wie schon in Elberfeld, auch konkrete Anforderungen an die Mitglieder formuliert, nämlich dahingehend, daß nur aufgenommen werden kann, wer „einen unbescholtenen Lebenswandel führt oder zu führen entschlossen ist“ (s.u.). Zugleich werden die Mitglieder verpflichtet, „soviel es in ihren Kräften steht, einander vor Schlechtem zu verwahren, aber auch, das ihnen bekannt gewordene Schlechte an gehörigem Orte anzuzeigen, damit es gehoben oder wenigstens für den Verein unschädlich gemacht werde.“

Hinsichtlich der Teilnahme am Bildungsangebot des Vereins wird unterschieden: Bei den abendlichen Vorträgen ist der Besuch im Grundsatz freigestellt (§ 42), allerdings ist die „Regelmäßigkeit im Besuche sehr erwünscht.“ Beim Unterricht wird die regelmäßige Teilnahme „dringend empfohlen“ (§ 41). Als Unterrichtsfächer werden (§ 40) Religion, geistlicher und weltlicher Gesang, Lesen, Schreiben und Rechnen, Zeichnen und Modellieren, Geographie und Geschichte sowie Naturkunde explizit als Regelfall genannt, allerdings ohne Differenzierung zwischen den eigentlichen Unterrichtsfächern und den Themenbereichen der Vortragsabende.

In der Frage von Satzungsänderungen (§ 48) liegt die Zuständigkeit für den Bereich der Vorstandsarbeit beim Vorstand selbst, für die die Mitglieder betreffenden Regelungen ist „die Zustimmung der Vereinsmitglieder“ gefordert.

Für die Verbandsgeschichte bringt das Kölner Statut zwei wesentliche Neuerungen, die rasche Verbreitung im Verband gefunden und sich, wenn auch in unterschiedlichen Varianten, über Jahrzehnte hinweg oder sogar bis in die Gegenwart hinein erhalten haben.

Das eine ist das Amt des Vizepräses, der „bei Abwesenheit oder Verhinderung des Präses“ in dessen ‚volle Funktionen‘ eintreten sollte. Über Entstehung resp. Begründung dieser Position liegen interessanterweise keinerlei nähere Hinweise vor. Eine mögliche und plausibel scheinende Erklärung ist die Doppelbelastung Kolpings als Lokal- und ‚Generalpräses‘, wo eine entsprechende Vertretung nur willkommen sein konnte, etwa im Blick auf längere Abwesenheiten. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, daß die Allgemeinen Statuten im Zentralvorstand das Amt eines Vizepräsidenten vorsahen, wenngleich es als solches im verfügbaren Quellenmaterial nicht nachweisbar ist. Die Tatsache, daß sich dieses Amt rasch im Verband ausbreitete und durchsetzte, kann wohl am ehesten darin ihre Erklärung finden, daß eine derartige Vertretung generell von den Präsides im Blick auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben als sinnvolle und insofern willkommene Entlastung verstanden wurde. Nach Ausweis der Quellen wurde auch dieses Amt überwiegend von Geistlichen wahrgenommen; allerdings gab es keine generelle (verbindliche) Regelung, so daß auch Laien als Vizepräses fungieren konnten. Die Bedeutung der Vizepräsides für die praktische Arbeit der Gesellenvereine darf im Übrigen - und dies nicht nur für den hier behandelten Zeitraum - keineswegs unterschätzt werden. Gerade dort, wo das Präses-Amt aus den Reihen des jüngeren Pfarrklerus besetzt wurde, mußte sich fast zwangsläufig ein relativ häufiger Wechsel ergeben, wo dann ein längerfristig verfügbarer und engagierter Vizepräses einen gewichtigen ‚Stabilitätsfaktor‘ darstellen konnte. Auch dieser Aspekt mag ein Argument für die Durchsetzung des Amtes gewesen sein.

Das andere ist die Einrichtung des Schutzvorstandes, auf die später noch verschiedentlich zurückzukommen sein wird. Im Kern ging es hier darum, aus dem Kreis der tonangebenden gesellschaftlichen Schichten, d.h. vor allem des sog. Bildungs- und Besitzbürgertums, ‚Sympathisanten‘ für den Gesellenverein zu gewinnen, die seine Arbeit tatkräftig unterstützten und damit zugleich seine Akzeptanz im lokalen Umfeld förderten. Durchaus im Trend weiterführender Entwicklungen und Regelungen bzw. diese zumindest mit prägend liegen auch die Stärkung der Stellung des Präses und der Verzicht auf eine zeitliche Befristung der Vorstandsämter, ebenso die offenere Regelung hinsichtlich der Teilnahme an den Veranstaltungen (Versammlungen und Unterricht).

Noch zu Lebzeiten Kolpings haben die Statuten des Kölner Gesellenvereins verschiedenste Überarbeitungen bzw. Neufassungen erlebt, nicht zuletzt auch im Kontext der Bemühungen um die Schaffung einer eigenen Rechtsperson für den Verein bzw. für das eigene Haus (Hospitium).

In seinem Einsatz für die Ausbreitung des Werkes hat Adolph Kolping immer wieder auch ganz praktische Hinweise und Hilfestellung zur Vereinsarbeit und -organisation geben wollen und müssen. Sicherlich wird man in der Annahme nicht fehlgehen, daß dabei die Kölner Lokalstatuten einen Orientierungsrahmen für diejenigen Details gegeben haben, die nicht durch die Allgemeinen Statuten geregelt waren. Für eine solche Beispielfunktion können die erwähnte rasche Durchsetzung des Vizepräses-Amtes und des Schutzvorstandes im ganzen Verband als eindeutige Indizien gelten.

 

2.4 Generalversammlung 1851

Schon die zweite Generalversammlung im Jahre 1851 beschloß die Umbenennung des Verbandes in ‚Katholischer Gesellenverein‘, um von vornherein eine regionale Eingrenzung auszuschließen. Der gleiche Name sollte fortan auch für die neu gegründeten Lokalvereine verbindlich sein (s.u.).

Diese (II.) Generalversammlung war bereits von sechs Vereinen besucht. Vertreten waren die Vereine von Elberfeld, Köln, Düsseldorf, Bonn, Aachen und Koblenz, wobei Kob-lenz allerdings erst zu Beginn des Jahres 1852 offiziell in den Verband aufgenommen wurde. Der bereits 1850 gegründete Hildesheimer Verein, im November 1851 aufgenommen, war nicht vertreten, ebenso der schon gegründete, aber erst im Dezember 1851 auf-ge-nommene Verein von Mainz. Die Vereine von Hildesheim (Königreich Hannover) und Mainz (Großherzogtum Hessen) waren die ersten außerpreußischen Gesellenvereine; damit ergab sich eine interessante Rechtsfrage hinsichtlich der Verbandszugehörigkeit, auf die noch einzugehen sein wird.

Die hier behandelte Versammlung, ausgewiesen als „Zweite Generalversammlung des Rheinischen Gesellenbundes“ resp. „...der rheinischen Gesellenvereine“ fand mit 23 Teilnehmern am 9.11.1851 in Köln statt. Vertreten waren die Präsides von Köln, Bonn und Aachen, zwei Beisitzer des Zentralvorstandes, der Sekretär des Kölner Vereins resp. des Zentralvorstandes sowie neben Johann Gregor Breuer 16 weitere Mitglieder resp. Vorstandsmitglieder (Senioren oder Assistenten) als Vertreter der teilnehmenden Gesellenvereine.

Kolping konnte der Generalversammlung im Anschluß an seine Teilnahme am Mainzer Katholikentag (s.u.) seine „gegründete Hoffnung“ mitteilen, „daß der Gesellenverein sich in nicht allzu ferner Zeit über das ganze kath[olische] Deutschland verbreiten werde.“

Unter der Leitung Kolpings begab sich die Versammlung an eine intensive Beratung zur Überarbeitung des Bundesstatuts. Zunächst wurde die Umbenennung des Verbandes in „Katholischer Gesellenverein“ beschlossen. Dazu gab Adolph Kolping folgende Hinweise:

Solange man allerdings nichts weiter bezweckte, als nur am Rhein und allenfalls in Westfalen die Gesellen in unserer Weise zu vereinigen und für ihre dringendsten geistigen Bedürfnisse zu sorgen, solange man kaum daran zu denken wagte, unser Vereinswesen über die Grenzen der Provinz ausgedehnt zu sehen, paßte der Ausdruck 'Rheinischer Gesellenbund' für die Sache und gab ihm das gern gesehene Kleid. ... Da es sich aber gegenwärtig darum handelt, den Gesellenverein auch im übrigen Deutschland fortzupflanzen - von hüben und drüben kommt das Verlangen danach an uns -, muß in Zukunft die passende Benennung auch für die Sache offengehalten werden. Und wie soll die Benennung lauten? Da man draußen in der Welt sich noch viel weniger mit dem Worte ‚Bund‘ abfinden kann, wir aber in kindischem Eigensinn auf kein Wort pochen wollen, das wir endlich geradesogut durch ein anderes ersetzen können, haben wir das Wort ‚Gesellenverein‘ an die Stelle gesetzt, dessen Arme weit und stark genug sind, wenn es nötig ist, das ganze deutsche Vaterland zu umspannen. ... Aber wenn der Verein sich über das ganze Vaterland verbreiten soll, warum nennen wir ihn nicht ‚Deutscher Gesellenverein‘? Zuerst hat es mit dem ganzen deutschen Vaterland arge Haken. Wir lieben unser Vaterland so gut wie der beste Patriot, und wenn wir Wünschens Gewalt hätten, der erste Wunsch, der das Vaterland träf', wäre, daß wir im Vaterlande in der Hauptsache einig wären und mit voller Freude vom deutschen Vaterlande reden könnten. Ich für meinen Teil gestehe ganz offen, daß ich nie ans Vaterland denken kann ohne Schmerz, und doch kümmere ich mich nicht um Dinge, die mich nichts angehen. Wenn unsereins ans Vaterland denkt, kommt es ihm vor, als wenn mitten durch dasselbe ein tiefer Riß ginge, so daß man sich immer nur auf einer Seite befinden müsse, und wenn man sich auf die andere Seite wagen wollte, ordentlich das Leben in Gefahr käme. Verschlossene Wege, verschlossene Türen und verschlossene Herzen machen dort das Leben sauer. Ich sage es geradezu: Mit der Politik habe ich nichts zu tun, es betrifft ein viel wichtigeres Gebiet. Und weil das so ist, soll auch der Verein kein deutscher Verein heißen, es wäre im besten Falle ja doch nicht wahr. Aber auch noch ein anderer Grund soll nicht übersehen werden. Gesellenvereine sollen oder können da gegründet werden, wo sie nottun, auch wenn nicht auf deutscher Erde. Und wenn diese eines Sinnes sind mit uns und wir können denen irgendwie eine hilfreiche Hand reichen oder wir können von ihnen irgend etwas Gutes empfangen und brauchen, so sind wir gar nicht so dumm, um des Grenzpfahles willen das Gute zu lassen. Der Gesell geht zuweilen auch gern über den Schlagbaum hinaus, und daß er andere Länder sieht, schadet ihm oft gar nichts. Und wenn er dann am Ende der Welt wieder einen verbrüderten Gesellenverein fände, gönnte ich es ihm von Herzen. Siehe, darum haben wir das ‚deutsch‘ weggelassen.

Aber ein anderes Wort haben wir an die Stelle gesetzt, was viel, viel besser paßt. Er soll ‚Katholischer Gesellenverein‘ heißen. Warum wir das getan, will ich dir, lieber Leser, kurz und bündig auseinandersetzen. Heutzutage handelt es sich um zwei Dinge in der Welt, ob nämlich das Christentum sein Recht hat oder ob das Heidentum, ein recht gotteslästerliches Heidentum, das Ruder führen soll. Alles, was sonst in der Welt nebenher läuft, ist nicht wert, daß man sich darüber aufregt. Wir stehen entschieden auf der Seite des Christentums und bitten Gott, daß er uns dabeistehen läßt. Wir glauben sogar, daß das Christentum allein Recht hat auf der Welt, und müssen also mit Leib und Seele für dieses ausschließliche Recht einstehen. Nun aber erkennen wir mit derselben Gewißheit nur ein einziges Christentum als zu Recht bestehend an, und zwar das Christentum der einzigen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Damit aber müssen wir zugleich katholisch denken, reden, handeln, leben und sterben. Wir sind also geschworene Feinde des nach Herrschaft ringenden Heidentums, gegen das wir aus allen Kräften Front machen, das wir angreifen, wo wir können, das wir zerstören würden, wenn es in unseren Kräften stände. Wir sind also katholische Christen und verwerfen damit jedes andere, notwendig verfälschte Christentum, von dem wir kein Heil, aber viel Unheil erwarten können. Wir glauben, daß unsere Rettung, unsere Besserung innerlich und äußerlich, das Gedeihen unserer Bestrebungen einzig und allein aus dem segensreichen Schoß der Kirche fließt und daß außer ihr kein bleibender Segen mag gefunden werden. ... Wir haben von dieser göttlichen Mutter gelernt, auch selbst unsere Feinde zu lieben, für die zu beten, ihnen Gutes zu tun, die im Herzen wider uns sind; wir haben gelernt, den Irrtum [zu] verdammen und mit den Irrenden christliches Mitleid [zu] haben, und würden die irrenden Brüder auf den Händen ins verlassene Vaterhaus zurücktragen, wenn sie sich nur wollten tragen lassen; aber wir haben von derselben Mutter auch gelernt, keine Zisternen [zu] graben, die kein Wasser halten, und um der Gefahr willen die Gelegenheit [zu] meiden. Da das nun so ist, so soll und muß der Gesellenverein ein ‚Katholischer Gesellenverein‘ sein, der damit vor aller Welt seinen Banner aufrollt, seine Devise zeigt und bereit ist, seinen Worten Nachdruck zu geben. Unsere Gesellen sind auch entweder Christen oder Heiden; wir wollen unsere Christen vereinigen, damit sie den Heiden Widerstand leisten können, und zwar unsere katholischen Gesellen, damit sie dem Irrtum nicht zur Beute werden und das ganz sind, was sie sein sollen. Wir locken keine anderen in unsere Verbindung, und wenn sie freiwillig kommen, werfen wir sie nicht hinaus; wir gehen unsere gewiesenen Wege nicht um des Streites, sondern um des Friedens willen. Und wenn es dir, lieber Leser, einfiele zu denken: Ja, aber wozu dem Vereine das 'Katholisch' anhängen, der es doch zumeist mit dem bürgerlichen Leben zu tun hat?, so sage ich dir nur noch, daß wir ihm gerade deswegen das ‚Katholisch‘ angehangen haben. Gerade das bürgerliche Leben bis auf die Werkstatt - worum nicht bis in die Herberge und ins Wirtshaus hinein? - soll katholisch sein und werden, und wenn du noch nicht begreifen solltest, was das heißen will, so gehe in eine gute katholische Familie und schaue sie dir in ihrem Leben und Wandel genau an; und dann gehe auch in das Hauswesen eines gottvergessenen Spötters und tue die Augen wieder gehörig auf, du wirst dann den Unterschied finden. Uns will's bedünken, gerade dem gewöhnlichen, bürgerlichen Leben täte ein tüchtiges, katholisches Christentum wieder gewaltig not. Dazu dünkt mich noch, es sei viel besser, man sage frisch heraus und von vornherein, wer man ist und was man will, als daß man den Leuten Gelegenheit gibt, über unnötige Dinge überflüssiges Nachdenken zu veranstalten. Entweder sei das Werk ein katholisches, oder es sei gar nichts, bleibe bei der Kirche oder gehe morgen zugrund'. Das ist unsere Herzensmeinung, und damit über diesen Punkt Punktum.

 

Die zitierten Ausführungen Kolpings sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Sie markieren zum einen, und dies eigentlich erstmalig, in nachdrücklicher Weise die mögliche bzw. gewollte tatsächliche Internationalität des Werkes. Zum anderen unterstreichen sie in sehr grundsätzlicher und zugleich pointierter Weise das ausgeprägte katholische Selbstverständnis des Verbandes, der sich äußerlich zwar als bürgerliche Einrichtung verstand und darstellte, innerlich aber auf klarem religiösem Fundament ruhte und ausdrücklich auch die Nähe zur Kirche suchte (s.u.).

Zugleich machen Kolpings Hinweise zu den Stichworten ‚Deutschland‘ und ‚Vaterland‘ die konfliktträchtige politische Lage in Deutschland deutlich: Nach dem Ende des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation 1806 resp. nach der Niederwerfung Napoleons war ja als Ergebnis des Wiener Kongresses der aus 39 souveränen Staaten bestehende Deutsche Bund entstanden, in welchem sich gerade seit 1848 die Rivalität der führenden Mächte Preußen und Österreich zum zentralen Thema entwickelte. Die Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes waren seit der tiefgreifenden Neuordnung der politischen Landkarte Deutschlands weithin konfessionell gemischt; insgesamt stellten die Katholiken im Deutschen Bund die Mehrheit dar. Um so aufmerksamer wurde auf katholischer Seite natürlich das Ringen um die Hegemonie in diesem Verbund bzw. um seine Neugestaltung verfolgt, in dem das mehrheitlich protestantische Preußen tonangebend war. Für einen katholischen Rheinländer wie Kolping konnte Österreich jedenfalls eher als ‚Orientierung‘ dienen als Preußen, das zudem ja erst seit wenigen Jahrzehnten im Rheinland herrschte, und dies nicht unbedingt mit begeisterter Zustimmung der Rheinländer! In diesen Zusammenhang gehört aber auch die später noch deutlicher artikulierte Sorge vor dem neuen, nachdrücklich liberal geprägten französischen Kaisertum unter Napoleon III., wo - nicht zuletzt im Blick auf durchaus noch lebendige Erfahrungen aus der Zeit der Französischen Revolution - für ein schwaches, uneiniges Deutschland die Gefahr eines neuerlichen französischen Ausgreifens gesehen werden konnte.

Ein weiterer Beratungsgegenstand der Generalversammlung von 1851 war die Benennung der einzelnen Lokalvereine. Mehrheitlich wurde die Bezeichnung ‚katholischer Gesellenverein‘ als Name für die neu zu errichtenden Lokalvereine vorgeschrieben. Damit trugen jetzt der Verband wie auch die einzelnen Vereine die gleiche Bezeichnung.

Der § 7 der Allgemeinen Statuten bekam folgende Neufassung: „In jedem Lokalvereine bleibt die Behandlung der Politik und öffentlicher Angelegenheiten sowie jede gehässige, religiöse Polemik untersagt.“ Gegenüber der Fassung von 1850 sind jetzt auch ganz allgemein ‚öffentliche Angelegenheiten‘ mit einem Behandlungsverbot belegt. Dazu heißt es im Bericht Kolpings: „Damit glauben wir der weltlichen Behörde jede vernünftige Garantie gegeben zu haben, daß die Vereine sich nicht in Dinge verirren, welche zu Mißhelligkeiten Anlaß geben können. Unser gesellschaftliches Leben dagegen nimmt auch gern jene Freiheit für sich in Anspruch, ohne welche es nicht bestehen und gedeihen kann.“ Die 1850 festgelegte Ausnahme, die Gewerbegesetzgebung betreffend (s.o.), wird in Kolpings Bericht nicht mehr erwähnt; sie wurde mit der genannten Neufassung aus dem Statut entfernt. Diese Engführung hängt ohne Zweifel mit dem preußischen Vereinsgesetz von 1850 zusammen, auf das im Zusammenhang mit dem sog. ‚Politik-Verbot‘ noch einzugehen sein wird (s.u.) und das dem Verband in späteren Zeiten, näherhin im sog. ‚Kulturkampf‘, nicht unerhebliche Probleme bereitet hat.

Ein letztes Diskussionsthema der Generalversammlung war die (berufliche) Wanderschaft. Im Bericht heißt es daztu: Nunmehr kam noch ein anderer Gegenstand zur Sprache. Wie die Erfahrung lehrt, ist das Gesellen-Herbergswesen in greulicher Unordnung, und von den alten strengen und guten Handwerksgebräuchen und Ordnungen auf denselben ist kaum mehr eine Spur zu finden. Den Mitgliedern der katholischen Gesellenvereine muß daran liegen, auch auf der Wanderschaft oder bei plötzlicher Arbeitslosigkeit wenn möglich ein Haus zu wissen, wo sie ordentlich und anständig, ohne Hader und Zank ihr Bündel niederlegen können. Bis für dieses so wichtige und in vieler Beziehung dringende Bedürfnis in anderer, besserer und durchgreifender Weise kann gesorgt werden, wurde den einzelnen Vereinen aufgetragen, durch geeignete Mitglieder in ihrer Stadt ein anständiges, passendes Wirtshaus ausfindig zu machen, wo die Vereinsmitglieder unter Aufsicht des Vorstandes angemessenes und billiges Unterkommen finden können. Über eine desfallsige Ordnung kann später Rat gepflogen werden. Damit sind die Mitglieder anderweitigen Vexationen etc. enthoben. Die betreffenden Adressen sollen den einzelnen Vereinen mitgeteilt und in jedem Vereinslokal angeheftet werden.

Diese Überlegungen markieren den Einstieg in zwei zentrale, eng miteinander verbundene Themen für die weitere Arbeit und Entwicklung des Verbandes, die in der Folgezeit immer wieder sowohl Beratungsgegenstand von Generalversammlungen als auch Schwerpunkte in den Aktivitäten der einzelnen Vereine waren: Das eine ist die Schaffung einer Wanderordnung im Verband, die seit der Generalversammlung des Jahres 1853 intensiv diskutiert wurde; das andere ist das Bemühen der Vereine, sich ein eigenes Haus zu schaffen, und zwar gerade auch zur Beherbergung der zuwandernden Gesellen. Insofern sich der Gesellenverein ausdrücklich ja der ‚Pflege‘ der wandernden Handwerksburschen annehmen wollte und sollte, konnten diese Themen auch nicht lange ausbleiben, mußten sie sich quasi als Ergänzung der alltäglichen Vereinsarbeit einerseits und als sichtbarer Ausdruck der mit der Verbandsgründung intendierten Zusammenarbeit - im Sinne der einheitlichen Regelung gemeinsamer Belange - andererseits bald schon mehr oder weniger zwangsläufig stellen.

Zusammenfassend betrachtet, hat die Generalversammlung 1851 die 1850 festgelegten Grundlagen der Verbandsarbeit weiterentwickelt resp. nähere Präzisierungen vorgenommen. Zugleich hat sie Themen angestoßen, denen in der späteren Entwicklung des Werkes große Bedeutung zukommt. Mit ihrer Beschlußfassung über die Namensgebung der lokalen Vereine und des Verbandes und damit auch zur definitiven Klarstellung der eigentlichen Zielgruppe hat sie eine Weichenstellung vollzogen bzw. abgesichert, die für die folgenden Jahrzehnte, ja bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmend gewesen ist.