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6. Die ersten Jahre in Köln

 

Kolping war mit großen Erwartungen nach Köln gegangen. Aber so rosenrot die Nachricht auch war, welche das von Elberfeld entsandte Mitglied ihm überbracht hatte, so kostete die Sache doch gleich im Anfange große Mühe und Arbeit. Sehr bald nach der Übersiedelung schrieb der neue Domvikar an seinen Freund Deycks:

„Es sind hier große Schwierigkeiten zu überwinden; ich habe kein ordentliches Lokal, stehe allein, niemand hilft. Doch bei mir gilt der Wahlspruch: Nicht nachlassen! Widerstand macht mich nur eifriger." Mit ganzen sieben Mann eröffnete er den Verein in einem Unterrichtszimmer der St. Kolumba-Schule. Wie in Elberfeld behalf man sich auch hier auf den Bänken, und einige Talgkerzen lieferten die Beleuchtung in dieser bethlehemitischen Behausung.

Das währte aber gar nicht fange, und aus sieben Mitgliedern wurden hundert, und aus den hundert wurden zweihundert. Einer sagte es dem andern. Manche freilich kamen aus bloßer Neugierde, andere gar, um die Nasen zu rümpfen, und während der eine oder andere, nachdem er sich noch einmal eingefunden, wieder fortblieb, traten doch sehr viele solide Kräfte definitiv im den Verband ein. An all’ jenen Gesichtspunkten, die Kolping in seinen Elberfelder Schriften des näheren ausgeführt hat, hielt er in Köln unverrückbar fest. Mit der Liebe eines Priesters trat er in freundliche Verbindungen mit jedem einzelnen Mitgliede, offenbarte eine wahre, vom Herzen kommende und zum Herzen gehende Teilnahme für das Wohl und Wehe aller und zeigte sich in jeder Hinsicht als ein Vater. Mit der ihm eigenen volkstümlichen Beredsamkeit, die durch ihre Kernigkeit, Frische und Naturwüchsigkeit große Erfolge erzielte, wußte er die Geister und Gemüter der jungen Leute zu packen und wie im Sturm zu erobern. Das Material seiner Vorträge bestand teils aus Erlerntem, teils und vor allem aus Selbsterlebtem, und namentlich wenn er in die reichen Erinnerungen seiner Jugend griff und aus dem Schatz seiner Handwerkserfahrungen recht frappante und auch mitunter ergötzliche Dinge herausholte, dann wirkte fein Wort wunderbar auf feine Zuhörer. Es sprach sich das Gehörte weiter von Werkstatt zu Werkstatt, und die Bänke in der Kolumba-Schule wurden von Sonntag zu Sonntag dichter besetzt.

Zu den Sonntag-Abenden kamen bald auch Lehrstunden an Werktag-Abenden. Es fanden sich opferwillige Lehrer, die den Präses unterstützten und ohne jegliches Entgelt in verschiedenen Fächern Unterricht erteilten. Wohlhabende Bürger wurden mit der Sache befreundet und standen dem Präses gern zur Seite.

Unter den letztern müssen wir ganz besonders den Kaufherrn Peter Michels nennen. An ihm hatte Kolping wahrlich einen guten Griff gethan. Durch den damaligen Kaplan (später Gymnasiallehrer und zulegt Schul-Inspektor, gestorben 23. Mai 1893) Dr. Chargé, der sich gleich anfangs schon, wie Vosen, mit aller Wärme dem Vereine hingab, im Hause Michels eingeführt, trug er seine Pläne und Wünsche kurz und schlicht vor; seine Worte fielen bei Herın P. Michels auf guten Boden. Ein inniges Freundschaftsband umschlang seitdem beide Männer zeitlebens.

Michels wurde einer der praktischsten und besten Ratgeber Kolpings, und man darf wohl sogen, daß im Gesellenverein zu Köln kaum etwas Wichtiges geschah, wenigstens so weit es in das praktische Leben eingriff, wofür nicht vorher der Rat des erfahrungsreichen Mannes eingeholt ward. Wenn Kolping eine Ebbe in der Klasse verspürte, so war es vor allen Michels, der half, selbstspendend oder mit Kolping bei Freunden terminierend. Ein Beispiel! Einmal klagte Kolping bei Michels über eine Finanzklemme, in der sich der Verein eben befand. „Machen Sie sich keine Sorge,“ sprach Michels, — „der Kutscher soll anspannen, wir wollen betteln fahren!" Sie fuhren und kamen am Abend mit Schätzen reich beladen heim. Wenn Kolping in Köln anwesend war, konnte man sicher sein, daß kaum ein Tag verging, an dem er nicht das Haus Michels heimsuchte; war er daran durch dringende  Arbeit oder Besuch behindert, so schien ihm etwas zu fehlen, wie man auch anderseits in der Familie Michels verwundert den Kopf schüttelte, wenn Kolping einmal ausblieb. Freudig bewegt waren alle im Hause, wenn er, gewöhnlich am Nachmittag, die Treppe heraufschritt, kräftig mit dem Stock aufstieß und denselben dann auf den Gang in eine Ecke stellte. „Mein Pferd steht schon da!“ rief er im seiner besten Laune. Dann ging es meist ans Planen und Überlegen, wie dies oder jenes zu ordnen oder was alles nun vorzunehmen sei. Wollte Kolping zu hoch fliegen, so zog Michels ihn auf den realen Boden des praktischen Lebens herab, und wollte er den Mut verlieren, so flößte sein Freund ihm neuen Mut ein. Neben Michel war es besonders Vosen, der alles mit ihm überlegte und durchsprach. Die Kenntnisse Vosens in der großen socialen Frage, die freilich damals noch nicht entfernt in dem Maße die Welt aufrührte, wie heute, sowie die gereifte Lebensanschauung dieses Mannes waren für Kolping sehr wertvoll. Wenn letzterer das „Gesetz der Freiwilligkeit“, das nach seiner Anschauung im Vereine herrschen müsse, vielleicht zu stark betonte und hie und da den Vergnügungen etwas zu sehr die Zügel schießen lassen wollte, widersprach ihm der erstere, der Mann mit dem eisernen Gesicht und den strengen Zügen. Außer Michels und Vosen hatte Kolping an Professor Kreuser, der ja so manchen unserer Leser in der Ferne durch seine Schriften und seine Reden auf den katholischen General-Versammlungen bekannt, vielen Kölnern aber als einstiger Lehrer am Gymnasium und als Höchst originelle Figur umvergesslich ist, eine kräftige Stütze, vornehmlich für den Unterricht im Verein, wo er in der ersten Zeit geographische und geschichtliche Vorträge hielt, nicht selten aber auch in seiner urkräftigen Manier über Themata anderer Art sprach. Auch bei dem damaligen Generalvikar und baldigen Weihbischof Herrn Dr. Baudri fand Kolping viel Trost und Hilfe; derselbe gehörte gleich anfangs mit zum Vorstande, und trat später an dessen Stelle sein Bruder, Friedrich Baudri, der bis zum Tode dem Vereine treu blieb und in demselben thätig war. Schon sehr bald hatte Kolping außer den Genannten auch die Herren Domkapitular Strauß, Pfarrer Schumacher, Professor Philipps, und als Lehrer die Herren Musik-Direktor Weber, Zeichenlehrer Oedenthal, Engelbert Peiffer und Gesanglehrer Gerbracht als tüchtige Helfer zur Seite. Am wenigsten aber dürfen und wollen wir Kaplan Chargé hier übergehen, der schon in den ersten Jahren der Stellvertreter des Präses in der Leitung der Versammlungen wurde und an dem, als einem Geistlichen, der so recht den Volkston traf, die Gesellen mit großer Liebe hingen. Durch diese und andere Männer getragen und gestützt, konnte Kolping bald froh und mutig in die Zukunft blicken, und hatte er im Mai einen etwas verzagten Brief nach Elberfeld gerichtet, so konnte er schon im Juni schreiben: „Es geht mir wohl; Arbeit genug und meine Leute halten sich brav; der beste Mut begleitet mich in die Zukunft.“

Im Sommer des Jahres 1849 trat in Köln die Cholera-Epidemie mit einer äußerst bedenklichen Heftigkeit auf und forderte viele Opfer. Von Tag zu Tag machte sich ihr Regiment in beängstigenderer Weise geltend und hielt Ärzte, Krankenpfleger, Geistliche und Totengräber in Atem. Das Hospital lag voll von Kranken, der Geistliche desselben, Rektor Markus, konnte die Arbeit nicht mehr bewältigen. Die geistliche Behörde dachte darauf, demselben einen Gehilfen an die Seite zu stellen; aber die ganze Pfarrgeistlichkeit war Tag und Nacht ohnehin in vollster Thätigkeit. Da bot sich Kolping freiwillig an, ins Hospital zu ziehen und dem Rektor Hilfe zu leisten. Das war ein echt priesterlicher Entschluß, eine wahrhaft hochherzige Tat, die gewiß Gottes Segen auf ihn und sein Werk herabzog. War er auch im Hospital vielfach selbst unwohl, so stand er doch in mancher Schreckensnacht am Bette der in Krämpfen ringenden Kranken und Sterbenden, achtete keine Beschwerden und überwand mutig den natürlichen Esel, den Cholerakranke dem beichthörenden Priester oft verursachen.

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Kolpingjunger

Zur Fortsetzung der Biografie

Teil 3: Universitätsjahre