150. Todestag Adolph Kolpings:
Predigt von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki
am 4. Dezember 2015 in der Minoritenkirche, Köln
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
im Evangelium begegnen wir Jesus immer in ganz unterschiedlichen Situationen. Es sind immer Begegnungen zwischen ihm und anderen Menschen, zwischen Kranken, Menschen, die von einem Dämon besessen sind, Menschen, die in Not sind. Und er fragt sie dann, was soll ich Dir tun?
Wenn wir heute gefragt würden, was würden wir antworten, Jesus antworten, wenn er uns so fragen würde? Was soll ich Euch tun? Vielleicht: Jesus, lass es mal gut sein, wir helfen uns schon selbst, das haben wir gelernt, das sind wir gewohnt. Oder: Ach ja, wenn Du uns schon mal so fragst, so ein paar Probleme, die könntest Du wirklich mal übernehmen, die könntest Du uns abnehmen und für uns lösen, wenn Du schon so fragst und Dich anbietest. Oder: Guter Gott, wenn Du es irgendwie vermagst, dann nimm die Gewalt und den Terror und die Ungerechtigkeit von unserer Welt und fang bei mir damit an.
Die Geschichte des Christentums, liebe Schwestern und Brüder, die lebt von Menschen, die sich von Jesus helfen lassen. Helfen meint dabei nicht einfach die rein funktionale Wendung einer Situation, nein, helfen, das meint hier das unbedingte gerettet Sein, das unbedingte gerettet Sein eines Menschen aus all seiner Not. Der Glaube wird genau von solchen Menschen weitergegeben. Die dieses gerettet Sein erfahren haben und die aus dieser Erfahrung heraus als neue Menschen leben, die also im Letzten Christus begegnet sind, die Gott begegnet sind, die bei ihm Hilfe und Rettung erfahren haben. Die Geschichte des Christentums, die lebt aber auch von Menschen, die selbst an andere die Frage danach gestellt haben: „Glaubt Ihr, dass ich Euch helfen kann, und wenn ja – wie? Der selige Adolph Kolping war so ein Mann.
Hier in Köln stellte sich ihm diese Frage, und die Gründung des ersten Gesellvereins war zu seiner Zeit seine Antwort und zugleich der Anfang des Internationalen Kolpingwerkes. Weltumspannend ist das Werk geworden, und Menschen auf der ganzen Welt haben diesen Impuls Adolph Kolpings aufgegriffen, der hier von Köln ausgegangen ist, und dieser Impuls, liebe Schwestern und Brüder, der ist ja nicht irgendwie vom Himmel gefallen, sondern der ist ebenfalls in Adolph Kolping erwachsen und gereift aus einer persönlichen Begegnung, aus einer Freundschaft mit Christus, und diese Idee, die daraus erwachsen ist, die ist dann seit fast 200 Jahren aufgenommen worden und ganz vielfältig in vielen Ländern dieser Erde umgesetzt worden.
Die Zeit, zu der Kolping zu wirken beginnt, das war die Zeit, in der damals hier in Deutschland die Soziale Frage die innenpolitische Meinungsbildung ebenso wie die führender katholischer und evangelischer Theologen beherrschte. Ob das damals der katholische Bischof von Ketteler war oder der evangelische Theologe Wichern. Die Soziale Frage bewegte die Verantwortlichen. Der Alltag viel zu vieler Menschen war geprägt von Not und von Ausbeutung, von Ausgrenzung, von Verelendung, von schlechter Gesundheitsversorgung, von hoher Sterblichkeit und von den verheerenden Auswirkungen einer Industrialisierung, die keine Rücksicht auf die Arbeitenden nahm.
Ein menschliches Antlitz, so haben wir es gerade beim begangenen Kolpingtag im September hier in Köln gehört. Ein menschliches Antlitz, das gab Adolph Kolping der Welt mit seiner Initiative für junge Handwerker und Gesellen. Der Verein sollte den wandernden Gesellen einen ähnlichen Halt geben wie ihn nach Kolpings Überzeugung nur die Familie bietet. Und die von ihm initiierten Gesellenhospize sollten dann eben für die Mitglieder ein Familienhaus sein. Ein Familienhaus, in dem sie gewissermaßen ihre Familie, gleichgesinnte und gleichberichtigte Freunde wiederfinden und mit ihnen in inniger freundschaftlicher Weise zusammenleben, so Adolph Kolping. Die Gesellenhäuser waren deshalb nicht einfach nur wohnliche Herberge, nein, die waren auch Schule. Eine Schule, die es den jungen Handwerkern ermöglichte, sich religiös, politisch und fachlich zu bilden. Außerdem sollten sie Gelegenheit zur Geselligkeit geben. Bis heute sind die Häuser des Jugendwohnens innerhalb des Kolpingwerkes Orte, die Familien natürlich nicht ganz ersetzen können, aber Alternativen zur Vereinsamung und den Gefährdungen des Alleinseins bieten.
Wie wichtig es ist, dass in der Tradition Adolph Kolpings jungen Menschen Halt, Orientierung und Gemeinschaft angeboten werden, das wird in diesen von so viel Gewalt und Terror verunsicherten Zeiten mehr und mehr deutlich. Jeden Abend bekommen wir in den Nachrichten und in politischen Magazinen hier Realitäten vor Augen geführt, die wir aus ganzem Herzen ablehnen, weil wir für eine friedvolle und für eine gerechte Welt eintreten. Es sind da ja oft häufig selbst junge Menschen, die sich von Ideologie und von Fanatismus verleiten lassen, Leben – auch ihr eigenes Leben – zu vernichten und der Sinnlosigkeit preiszugeben.
Man möchte diese selbsternannten Märtyrer gerne einige Jahre früher getroffen haben und ihnen eine Chance auf konstruktive Auseinandersetzung mit dieser unsrer Welt geschenkt haben. „Glaubt ihr dass ich euch helfen kann?“ Ja Herr, das kannst du. Wenn du uns lehrst – so wie einst den seligen Adolph Kolping – auch heute auf die Not der Menschen, auf die Not der anderen zu sehen. Denn, liebe Schwestern und Brüder, im hier und jetzt ereignet sich das Erbarmen Gottes, im Blick auf die Not meines Nächsten, im Blick auf die Not Jugendlicher in und ohne Ausbildung, im Blick auf die Not von Menschen auf der Flucht vor Gewalt und Terror, im Blick auf die Not verarmter Menschen und im Blick auf die Menschen in ausweglos erscheinenden Situationen, im Blick auf ein kleines Kind, das Gewalt und Vernachlässigung ausgesetzt ist. Im Blick auf alles, was verhindert, dass Menschen leben können, wie es Gott gefällt, da liebe Schwestern und Brüder, ereignet sich das, was wir Christen vom jüngsten Gericht erwarten, hier und jetzt heute in dieser Welt in unserem Alltag, da nehmen wir Gott auf oder wir weisen ihm die Tür, wir lassen ihn draußen vor, hier und jetzt lassen wir Gott Mensch sein, hier und jetzt geben wir Gott die Chance, in unserem Herzen Bethlehem auferstehen zu lassen.
Dass unser Herz, dass unser Leben zur Krippe wird, wo er Mensch werden kann, damit er durch uns das Wirken kann, wozu er in die Welt gekommen ist. Oder wir überlassen ihn sich selbst oder wir überlassen Gott in den Menschen, die umkommen in den Fluten des Mittelmeers. Montagabend hatte ich einen Vortrag bei der Caritas in Köln-Porz zu halten. Da bin ich einem unserer syrischen Priester begegnet, der hier bei uns Dienst tut, der in der Wohnung neben mir wohnt und der berichtete, dass er an diesem Montag genau eine Familie aus dem Irak mit sieben Kindern, alle sieben Kinder aus ein und derselben Familie, in den Fluten des Mittelmeeres verloren hat.
Oder wir überlassen Gott sich selbst dort im harten Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt oder in den Irrungen und Versuchungen eines vereinsamten Jugendlichen. Der Welt ein menschliches Gesicht geben – so haben wir es beim Kolpingtag im September gesagt. Das heißt dann auch, Gott in jedem Gesicht zu entdecken, das mich anblickt, im Kollegen, im Partner, in den Eltern, im politischen Gegner, in der Kolpingschwester und dem Kolpingbruder, im Fremden, im Dementen, im Konkurrenten.
Ich wünsche allen Menschen weltweit, dass sich aufgrund des Glaubens- und des Lebenszeugnisses von Adolph Kolping, dass wir uns hier auf Christus einlassen und den Mut und die Kraft aufbringen, unseren Nächsten zu fragen: Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann?
Liebe Schwestern und Brüder, dazu müssen wir Christus beim Wort nehmen; wir müssen selber anfangen, aus seinem Wort, aus dem Evangelium zu leben. Am Sonntag war ich in Wuppertal. Der Pfarrer hat mich nach dem Jubiläum durch den Pfarrsaal begleitet, und wir sind auf eine junge Frau getroffen, Anfang 20. Sie kam aus dem Iran, geflüchtet. Warum? Wissen Sie, was die gemacht hat? Sie hat sich von ihrem Computer die Heilige Schrift heruntergeladen, sie hat angefangen, diese ein wenig abzuschreiben – darauf steht die Todesstrafe! Sie wollte heiraten im Iran, zwei drei Monate nur noch. Und wissen sie, wer sie verraten hat? Ihr Bräutigam, ihr Bräutigam! Weshalb? Weil sie die Heilige Schrift abgeschrieben hat. Ihre Eltern sind weiter im Iran und werden beobachtet und ihre Geschwister auch; sie stehen unter Verfolgung; sie konnte hierhin fliehen. Ich erzähle das, dass augenscheinlich ein ganzer Staat Angst hat vor der Heiligen Schrift, vor dem, was da drin steckt, welche Kraft davon ausgeht.
Adolph Kolping hat darum gewusst und hat daraus gelebt. Er hat dieses große Werk dadurch ins Leben gerufen. Und Adolph Kolping will, dass wir da in seinen Spuren stehen, dass wir diese Kraft der Schrift und die Kraft, die von ihm, Christus, dem Auferstandenen, der in seinem Wort gegenwärtig ist, ernst nehmen und, dass das nicht ein frommes Märchen ist für das Bücherregal, sondern dass das, was Adolph Kolping getan hat, konkret wird bis heute. Das bedarf Herzblut. Daraus leben, das war die Idee Adolph Kolpings, so dass das große Internationale Kolpingwerk mit seinen Verzweigungen, mit seinen Einrichtungen, mit seinen Gesellenhäusern, mit seinen Ausbildungsstätten entstehen konnte.
Hier, liebe Schwestern und Brüder, sind wir gefragt. „Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann?“ Ja Herr, wir glauben, damit wir wie Adolph Kolping helfen können. Und dort, wo Menschen einander wirklich helfen, dort schenken sie der Welt ein menschliches Gesicht. Zu Weihnachten, da sagen wir manchmal so flapsig daher: Mach‘s doch einfach wie Gott und werde Mensch! Vielleicht kann man heute am Gedenktag, am 150. Todestag von Adolph Kolping sagen: Macht‘s doch einfach wie Kolping, damit aus Fremden Freunde werden und damit unsere Welt heute durch uns, als Kolpingschwestern und Kolpingbrüder, diese Welt ein menschliches Antlitz bekommt. Amen.
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