Der Prozess der Seligsprechung
Der Tugendprozess
Der Anstoß für den Seligsprechungsprozess Adolph Kolpings ging von Wien aus. Am 8. August 1906 richtete der Erzbischof von Wien, Anton Joseph Kardinal Gruscha, ein langjähriger Vertrauter und Freund Kolpings und über lange Jahre führend in den Katholischen Gesellvereinen Österreichs tätig, ein ausführliches Bittgesuch an den Kölner Erzbischof Kardinal Fischer um die Einleitung des Seligsprechungsprozesses. Am 8. September 1906 antwortete Kardinal Fischer seinem Amtsbruder Gruscha, er teile dessen Überzeugung, dass Kolping » die Ehre der Altäre« zuteil werden möge. Er halte aber die Zeit noch nicht reif für die Einleitung eines Verfahrens. Der Grund für die nüchterne Antwort war der Hinweis auf die noch fehlenden Wunder.
Zwanzig Jahre später machte der 3. Nachfolger Kolpings im Amt des Generalpräses, Theodor Hürth (1924-1944), dann auf Anregung der Zentralversammlung der USA das Kanonisationsverfahren zu seinem ganz besonderen Anliegen. Gut zwei Jahre im Amt, nahm er am 4. Januar 1926 die Vorarbeiten für den Seligsprechungsprozess auf. Hürth wandte sich an den Kölner Erzbischof Karl-Josef Kardinal Schulte (1920-1941), der am 13. Februar 1929 einen Erlass im kirchlichen Anzeiger für das Erzbistum Köln veröffentlichte, Material für den Diözesanprozess zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Dieser Erlass wurde gegen Jahresfrist am 15. Februar 1930 wiederholt. Am 3. Dezember 1933 wurde das erste Petitionsbuch für die Seligsprechung Adolph Kolpings angelegt, und am 21. März 1934 eröffnete Kardinal Schulte formell den Seligsprechungsprozess. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits 25 000 Menschen in die Petitionsbücher für die Seligsprechung eingetragen.
Das Regime des Nationalsozialismus in Deutschland (1933-1945) brachte neue Probleme für den Seligsprechungsprozess. Bei den eingeschränkten gesellschaftlichen Aktivitäten des Kolpingwerkes nahmen die Wallfahrten zum Grab des Gründers in der Kölner Minoritenkirche aber zu. In diesem Zeitraum machten auch die Arbeiten am Prozess einige bedeutende Fortschritte. Nach 1936 wurden die Aktivitäten des Kolpingwerkes – wie die aller anderen konfessionellen Verbände auch – von dem totalitären Regime sehr stark eingeschränkt und bald unmöglich gemacht. Zunächst konnten die Arbeiten am Seligsprechungsprozess noch fortgesetzt werden. Aber sie kamen unter den durch das System stark eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten bald zum Stillstand.
Im Dezember 1938 hatten sich bereits 310 000 Gläubige in die Petitionslisten für die Seligsprechung Adolph Kolpings eingetragen. Diese Zahl bezeugt, dass das Anliegen der Seligsprechung Adolph Kolpings in der katholischen Bevölkerung weit über den Verband hinaus lebendig war. Der Wunsch des Heiligen Vaters, Papst Pius XI. (1922-1939), selbst noch die Seligsprechung Adolph Kolpings vornehmen zu können, erfüllte sich nicht. Denn mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 konnten die Arbeiten am Seligsprechungsprozess nicht mehr weitergeführt werden.
Während des Zweiten Weltkrieges starb 1941 auch der Kölner Erzbischof Karl-Josef Kardinal Schulte, dem der Prozess seine Aufnahme zu verdanken hatte und der sich nach Kräften für einen baldigen Abschluss des Verfahrens eingesetzt hatte. Generalpräses Theodor Hürth kam 1944 bei einem Bombenangriff auf Köln ums Leben, nachdem er noch im Jahre zuvor gemeinsam mit dem neu ernannten Erzbischof Josef Kardinal Frings (1942-1969) einen neuen Aufruf zu Einsendung von Prozessmaterial angeregt hatte.
Mit den bescheidenen finanziellen Mitteln und den sehr eng begrenzten Forschungsmöglichkeiten der Nachkriegszeit wurde nun die Weiterarbeit an dem Prozess betrieben. Ein Großteil der Unterlagen, die in den 30er Haren erarbeitet worden waren, war während des Krieges vernichtet worden oder konnte nach dem Krieg nicht wieder aufgefunden werden. Jedenfalls stand für die Fortführung des Prozesses wertvolles Material nicht mehr zur Verfügung. Am 27. März 1947 wurde der Weihbischof Josef Ferche von Breslau zum Weihbischof von Köln ernannt. Ihm wurde die Fortführung des Prozesses als Richter übertragen. Auch die anderen Ämter des Gerichtes wurden damals neu besetzt. Alle Beteiligten mussten sich zunächst in die gesamte Materie einarbeiten. Schon bald konnte aber der Informativprozess in Angriff genommen werden. Zeugen, die Adolph Kolping noch persönlich gekannt hatten, weilten inzwischen aber nicht mehr unter den Lebenden.
Die Schilderung des bisherigen Verlaufes lässt erkennen, dass die Durchführung dieses Prozesses unter denkbar ungünstigen Verhältnissen stattgefunden hat und ein geordneter Fortgang durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre immer wieder behindert wurde.
Das Ziel des Kirchlichen Gerichtes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es, mit dem vorhandenen Material einen geordneten Prozess durchzuführen. Das war im Nachkriegs-Deutschland – wie das Ergebnis zeigte – nur sehr schwer möglich. Zwar konnte am 10. Oktober 1950 in Rom der Informativprozess eröffnet werden, aber die vom Kölner Diözesangericht eingereichten Prozessunterlagen erfüllten nicht die strengen Anforderungen der Ritenkongregation.
In den folgenden Jahren wurde das Verfahren aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mit der Zielstrebigkeit weitergeführt, die notwendig gewesen wäre, um zu einem baldigen Abschluss zu kommen. Im Jahre 1969 wurde Joseph Höffner Erzbischof und Kardinal in Köln. Auf Anregung von Prälat Theodor Schnitzler und auf Bitte von Generalpräses Prälat Heinrich Festing eröffnete er 1972 den Seligsprechungsprozess für Adolph Kolping. Am 8. November setzte er eine Historische Kommission zur Erarbeitung der Prozessunterlagen für einen Historischen Prozess ein. Die Leitung übernahm Prälat Prof. Dr. Theodor Schnitzler, der noch Erfahrungen aus dem Diözesanprozess beisteuern konnte, aber vor der Fertigstellung der Arbeiten verstarb.
Die Kommission trug wichtiges, auch bisher nicht bekanntes Material für den nun in Rom zu führenden Prozess zusammen. Nach den Vorschriften der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen mussten alle verfügbaren Quellen und Beurteilungen aufgearbeitet und kommentiert werden. Mit dieser Arbeit wurde anstelle von Prälat Schnitzler Dr. Joachim Kracht von Kardinal Höffner betraut.
In den Prozessunterlagen mussten das Leben und die Aktivitäten Adolph Kolpings ausführlich dargestellt werden. Schwerpunktthemen waren dabei der Ruf der Heiligkeit, die Vorbildlichkeit eines christlichen Lebenswandels und die überragende Verwirklichung der Tugenden.
Für die Erarbeitung der Prozessunterlagen gaben zunächst Pater Ansgar Faller, dann aber der Postulator Pater Anton Collet SVD und der Relator Pater Prof. Dr. Ambrosius Eszer OP wertvolle Anregungen und Hinweise.
Am 6. Oktober 1986 konnte Generalpräses Festing die in die italienische Sprache übersetzten und gedruckten Akten dem Präfekten der Kongregation, Kardinal Pietro Palazzini, übergeben. Nun konnten die Historiker und Theologen, die von der Kongregation eigens für diesen Prozess bestellt waren, ihre Tätigkeit als Gutachter aufnehmen. Nicht nur die Erstellung, sondern auch das Studium von ca. 900 Druckseiten nahmen erhebliche Zeit in Anspruch.
Nach Vorlage aller Gutachten der Historiker und Theologen haben die Kardinäle und Bischöfe der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen am 18. April 1989 über den heroischen Tugendgrad Adolph Kolpings ihr positives Urteil abgegeben. Am 13. Mai 1989 gab Papst Johannes Paul lI. die von ihm gebilligte Entscheidung öffentlich bekannt.
Der Wunderprozess
Jetzt erst konnte der Prozess über die eingereichten Wunder aufgenommen werden, die für die feierliche Seligsprechung erforderlich sind. Auch in diesem letzten Prozessteil steht dem Papst die endgültige Entscheidung zu.
Bei dem Wunderprozess ging es um Gebetserhörungen auf die Fürsprache Adolph Kolpings in zwei Heilungsfällen nach einer schweren Krankheit bzw. nach einem schweren Unfall. In beiden Fällen bestand kaum Hoffnung auf Genesung. Aufgrund einer neuntägigen Andacht und inständigem Gebet zu Adolph Kolping trat in beiden Fällen eine plötzliche Besserung und volle Genesung ein. Diese »Wunder« wurden der Fürbitte Adolph Kolpings zugeschrieben.
Noch im Verlauf des Tugendprozesses setzte Kardinal Höffner eine Ärztekommission ein unter Leitung von Pater Prof. Dr. Paul Zepp SVD, um die vorliegenden Heilungsberichte zu prüfen. Für diese Kommission konnten international anerkannte Mediziner gewonnen werden. Nach der Anerkennung der Glaubwürdigkeit einer übernatürlichen Heilung durch die diözesane Kommission sind die gesamten Akten von einem medizinischen Gremium in Rom erneut überprüft worden. Am 24. Januar 1990 haben die fünf Mitglieder des römischen Ärztegremiums einstimmig geurteilt: »Die extrem rasche, vollständige und dauerhafte Heilung ist aufgrund unserer wissenschaftlichen Kenntnisse nicht erklärbar.»
Daraufhin hat die Theologen-Kommission auf ihrer Sitzung »super miro« (über das Wunder) am 18. Mai 1990 die wesentliche Gültigkeit der juridischen und theologischen Beweise anerkannt und den Zusammenhang – in der strikten Verbindung von Ursache und Wirkung – zwischen den Anrufungen des Dieners Gottes, Adolph Kolping und dem wunderbaren Ereignis der Heilung festgestellt. Am 23. Oktober 1990 hat die Kardinalskommission in Rom dann das Urteil der Theologen bekräftigt.
Mit der Bestätigung und Unterzeichnung des Dekretes über den Wunderprozess am 22. Januar 1991 hat der Heilige Vater den gesamten Seligsprechungsprozess Adolph Kolpings abgeschlossen. Damit konnte dann auch sogleich der Termin für die Seligsprechungsfeier auf Sonntag, den 27. Oktober 1991 in Rom festgelegt werden.
Quelle: In Rom dabei. Herausgegeben von Dr. Michael Hanke und Martin Grünewald (1991)
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