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Adolph Kolping zur Weltverantwortung

„Ja, wir glauben noch an die Menschen“

 

Einen tiefen Einblick in grundlegende, durchaus über das unmittelbare Wirken im Gesellenverein hinausreichende Sichtweisen und Zielsetzungen Kolpings vermittelt sein ,Neujahrsbeitrag' in der Feierstunde des Jahres 1851, wo es gerade auch um die Weltverantwortung des Christen geht:.

„Wir müssen reden, um zum Ziel zu kommen. Und das Ziel? Nun, wir möchten das Christentum wieder in die Häuser und Herzen hineintragen helfen, damit man um des Christentums willen uns in der Sorge für unsere lieben jungen Handwerker helfen möge. Wir möchten uns ganz besonders an den arbeitenden Stand, und zwar mit Wort und Tat, wenden, damit es ihm und endlich uns allen mit der Zeit besser gehe. Wir möchten den Großen und Kleinen die Wahrheit sagen, die alte, tausendmal erprobte Wahrheit, selbst wenn sie zuweilen etwas wehe tut, weil nur die Wahrheit heilt und bessert. Und wenn irgend jemand was Besseres weiß oder kann als wir, sehr gern wird ihm hier Platz gemacht. Wir wollen dabei keinen Streit, sondern Nutzen, wirklichen, dem öffentlichen und häuslichen Leben dienenden Nutzen, nichts weiter. Darum haben wir den Gesellenverein gegründet, ...

Es mag zwar mancher denken, und mancher hat‘s geradezu gesagt: Was soll heutzutage ein solches zwiefältiges, die Kräfte einzelner Menschen völlig übersteigendes Unternehmen? Die Welt ist zu schlecht, als dass ihr sie bessern könnt, und der Karren steckt zu tief im Dreck, dass ihr ihn auch nicht herausreißt. Noch klügere Leute als ihr haben nichts ausgerichtet. Was hilft‘s, dass man hie und da an den Zuständen der Zeit herumflickt, es reißt der alte Schaden doch immer wieder aufs neue. Das muss wahr sein, klüger, d. h. in dem Sinne derlei Leuten gemächlicher, wäre es jedenfalls, wenn man sich, wie die Schnecke in ihr Haus, so sich in sich selbst zurückzöge und sich nur um das kümmerte, was einen zunächst anginge. Angenehmer wäre es jedenfalls, wenn man sich die Schlafmütze recht tief über die Ohren zöge, das Haus zumachte und hinter den Ofen kröch und sich damit tröstete: Hast du die Welt nicht verdorben, brauchst du auch an ihre Besserung nicht zu denken. Viel friedlicher wäre es für die persönlichen Verhältnisse sicher, ganz still zu schweigen, sich mit keinem Menschen, er sei wie er wolle, zu überwerfen, selbst endlich mit dem Teufel nicht, und sich damit zu begnügen, wenn man nur ungeschoren durch die Welt käme. … Wir müssen bekennen, dass wir uns zu einer solchen Höhe der Anschauung nicht erheben können, und zwar aus gar mannigfachen Gründen. Zuerst und vor allen Dingen wollen wir nichts Unmögliches; das hat sich bereits praktisch ausgewiesen. Unser Unternehmen ist in der Hauptsache bereits dank vielseitiger Ermunterung gesichert. ... Es handelt sich nur mehr um den Ausbau und um die mögliche Vollendung.

Dieses Ergebnis aber beweist zweifaches: Erstens, dass die Welt, d.h. unsere Umgebung, durchaus nicht so schlecht und verkommen ist, als mancher glaubt. Mit dem faulen Motto: Die Welt ist verdorben und schlecht, also muss man sie im Stich lassen, also ist jede Mühe vergeblich, legt man nicht allein seine elende Faulheit, die sich damit decken will, sondern nicht minder seine Unwissenheit von der nächsten Umgebung an den Tag. Wenn die Welt so schlecht wäre, wie manche glauben, würdet ihr Gemächlichen nicht so gemächlich sitzengelassen wie heute noch. Die Menschen sind überhaupt nicht so schlecht, als man sie sich gern vormacht. Greift sie nur mal mit einer wahrhaft christlichen Hand an, ihr werdet von eurem Irrtume bald überzeugt sein. Wir haben das vielfach erfahren im Leben, erfahren es noch alle Tage, und während bei anderen Menschen der Glaube an die Menschen zu sinken scheint, sehen wir ihn Gott sei Dank wachsen. Ja, wir glauben noch an die Menschen, besonders glauben wir noch an unsere arbeitende Jugend, trotz ihrer Fehler, trotz ihrer jeweiligen Verkommenheit, trotz der Verführung der Zeit. Und weil wir daran glauben, deswegen lässt es uns keine Ruhe, dafür zu wirken. Und beten wir pflichtschuldiger alle Tage um die rechte, wahre Demut der Gesinnung, wissen wir ziemlich gewiss, was wir nicht können, dann müssen wir, wollen wir anders dem Richter im Innern genügen, doch alle Kräfte anstrengen, das ins Leben zu setzen, was wir können. Wenn das verhältnismäßig wenig ist, wenn das die Not der Zeit nicht aufhebt, die im Argen liegende Welt nicht neu gebärt, so denken wir, dass wir zu dem letzteren durchaus nicht berufen sind, aber eine Pflicht, eine strenge, ernste, dringende Pflicht haben, das wenige mit Eifer zu tun. Weil das Feld klein ist, was wir beackern, ist deshalb unsere Mühe vergeblich, wenn wir uns anstrengen, das kleine Fleckchen Erde da vor uns so fruchtbar zu machen, als nur immer möglich? Wie, wenn daran jeder dächte, wenn jeder den ihm zu nächststehenden Kreis von Menschen zum Felde seiner bessernden Sorge machte? Und wenn sein Einfluss sich nicht auf hundert erstrecken könnte und er begnügte sich mit zehn oder gar mit zwei oder einem endlich? Alle würden mit uns einen immer größeren Glauben an die Menschen erhalten, und die Menschen würden auch mehr an uns glauben.

Zweitens beweist das bereits gewonnene Ergebnis, dass sich leichter helfen lädt, als man gewöhnlich dafürhält. Man erschreckt zu sehr vor der ersten Mühe. Die ersten Anstrengungen sind immer die sauersten, das erste Opfer [ist} immer das teuerste. Wer nur die erste Furcht vor der Arbeit überwindet, wird finden, dass, wie gering auch die vorhandene Kraft sein mag, sie sich doch reicher lohnt, als es vorab den Anschein hatte, dass sie sich stärkt und sammelt mit der Zeit, wenn nur notdürftig Geduld vorhanden ist.

Wir glauben aber auch noch an mehr als an die Menschen, wir glauben auch an Gott, und weil wir daran glauben, weil wir das Christentum als tätiges Leben, als Wirken zum Heile verstehen, deshalb verlassen wir uns nicht auf uns, sondern auf die siegende Kraft des Christentums und halten es für eine Pflicht, dieser Gotteskraft dienstbar zu sein. Und weil so manches faul ist in der Welt, weil so vieles gebrochen und zerrissen ist im gesellschaftlichen Leben, deswegen wäre es für uns, die wir ans Christentum wirklich glauben, wahrlich Verrat an der Sache, wenn wir gera­de jetzt nicht alle Kräfte anspannten, die eigenen und die gleichem Zwecke dienenden fremden, zu bessern und zu retten, was sich retten lässt. Es ist keine Zeit zu feiern, zuzuschauen, gewähren zu lassen, bloß zu jammern und zu klagen, sondern es ist Zeit zu handeln, Zeit zu wirken, und zwar für jeden ohne Unterschied, wie es ihm nach Maßgabe seiner Kräfte und Mittel nur möglich ist. Da handelt es sich nicht darum, ob man alles kann, sondern ob man irgend etwas Ersprießliches zu leisten vermag, und kann man allein nichts, dann doch gewiss im Verein mit ande­ren. Das ist kein rechter Christ, der sich dieser gemeinsamen Tätigkeit entzieht, kein rechter Christ, der sich nicht gern und willig gemeinsamem Wirken anschließt und helfend schafft. Wir sind nun einmal Glieder einer Familie, uns allen fällt die allenfallsige Schuld wie der gemeinsa­me Gewinn zu, wir müssen alle miteinander wirken zum Besten des Hauses. Diejenigen, welche an Gott glauben, müssen dadurch auch an die Menschen glauben, und welche das Christentum lebendig glauben, müssen in seinem Geiste schaffen. Das hängt nicht vom Belieben ab, das geht notwendig aus der Sache hervor und ist geradezu Pflicht. Wenn eine solche Tätigkeit zu Unan­nehmlichkeiten führt, wenn es Sorgen und Mühen macht, endlich die leiblichen und geistigen Kräfte verzehren sollte, was soll’s? Sind wir denn in der Welt, um uns in eine Ecke zu drücken, un­ser liebes Selbst zu streicheln und für alles andere Augen und Ohren zu schließen? Gewiß nicht.

Adolph Kolping, 1851

Wanderbuchbebel

Wanderbuch von August Bebel, Arbeiterführer und Mitbegründer der SPD. Er gehörte als evangelischer Christ den Gesellenvereinen in Freiburg und Salzburg an. – Nähere Infos dazu hier.