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Adolph Kolpings und die Soziale Frage
Industrie-Arbeiter im Wuppertal (1848)
Das Verhältnis der Menschen zu den irdischen Geschäften heutzutage lässt sich kurz in folgende Formel fassen: Das Geschäft (Industrie, Handel etc.) ist nicht um der Menschen willen, sondern die Menschen sind um des Geschäftes willen da, das Geschäft um des Gewinnes willen, Besitz oder Genuss das Höchste im Leben, der Mensch ein Knecht, der Erde untertan. Das ist die Quintessenz der ganzen Industrie, des gepriesenen Fortschritts, das die innere Wahrheit des sogenannten materiellen Volksglückes. Das ist zwar mehr oder minder allerwärts der Fall, tritt aber nirgends greller und handgreiflicher zutage als da, wo die Industrie herrscht. Dass der Arbeiter zum Knecht geworden, wirst du leicht begreifen, wie aber auch der Fabrikant Sklave seines Geschäftes geworden, wollen wir hier zwar unerörtert lassen, kannst mir aber glauben, dass er in der Regel ein armseliger, bedauernswerter Mensch ist. Wir haben es vorzüglich mit dem abhängigen Volke und seinen jämmerlichen Zuständen zu tun.
Als nun bekannte Ursachen vor einiger Zeit die Fabrikation hemmten, die Handelskonjunkturen sich auch für die nächste Zukunft ungünstig stellten, wurden in ganz kurzer Frist die Webstühle zu Hunderten stillegelegt; bald waren mehrere tausend Familien arbeits- und brotlos, und nicht lange, da zeigte sich bereits so viel Jammer und Not in den unteren Volksklassen, wie man sie im Wuppertal seit Menschengedenken nicht gekannt hatte. Weber und Färber, mit einem Haufen Handwerker im Gefolge, gingen in ganzen Zügen betteln, bettel(te)n um Arbeit und Brot, das ihnen niemand ausreichend gewähren konnte. Leute, die für bestimmte Fabriken zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre gearbeitet hatten, ihre beste Lebenszeit und Kraft ihrem Herrn gewidmet, die unter ihren Augen reich geworden, standen sich plötzlich außer Verdienst gesetzt, ohne irgendwelche bestimmte Versorgung in der Gegenwart, ohne tröstende Hoffnung auf die Zukunft. Das lecke Schiff der Industrie lag auf dem Strande, das Schiffsvolk irrte trostlos auf nacktem Ufer, jeder Unbill der Verhältnisse preisgegeben.
(Kolping Schriften 3, S. 34)
Industrie-Arbeiter an das Schicksal der Fabriken gebunden (1848)
Nun war, wie aller Welt bekannt, bis in die jüngste Zeit die Industrie in reißendem Fortschrittbegriffen, Erfindungen auf Erfindungen erleichterten den Betrieb und hoben den Verkehr, besonders erreichte das Maschinenwesen einen Grad der Vollkommenheit, wie man es vor Jahrzehnten nicht träumen konnte. - Der Mensch ist ein Hexenmeister auf Erden, besonders, wenn er sich möglichst wenig mit dem Himmel zu schaffen macht. - Diesem Fortschritt konnten aber nur Leute mit kräftigen Beinen, mit Geld und Mut folgen; wenige hielten es aus, die meisten blieben zurück oder hinkten von ferne nach. Mit diesem Fortschritte nun, den man sich an der Wupper wohl zunutze machte, stieg die Fabrikation von Tag zu Tage, und das Wuppertal, das übergewerbreiche, sog nunmehr rings um sich das arbeits- und gewinnlustige Volk heran, so dass die Bevölkerung von Jahr zu Jahr in ungewöhnlichem Maße sich vermehrte. Wer das Wuppertal seit fünfzehn Jahren nicht gesehen und es jetzt damit vergleicht, wird sich kaum darin wiederfinden. Das in Scharen herbeiströmende Volk brachte aber in der Regel nichts mit als Arbeitskraft und guten Willen, sich hier, wo der Verdienst winkte, ein wenig leichter und besser durchs Leben zu schlagen. Überdies lässt sich eine häusliche Niederlassung mit den geringsten Mitteln bewerkstelligen. Dazu kommt, dass fast alle Fabrikarbeit sich bald erlernen lässt; ist doch selbst die Weberei, sieht sie auch wie die Handweberei aus, im Grunde nichts anderes als Maschinenweberei. Der ganze Webstuhl ist ein künstliches Gefüge, von dem der Weber in der Regel wenig oder gar nichts versteht, da er die ganze Anlage in den Hauptsachen fertig in die Hände bekommt. Zur Färberei gehören sich [!] vollends nur robuste Kräfte und ein wenig Anstelligkeit.
Bis zum verflossenen Jahre war die Bevölkerung des Wuppertales bis auf ca. 80.000 Seelen gestiegen, die sich vor 25 Jahren noch auf keine 25.000 belief. Diese Bevölkerung nun teilt sich in zwei Hauptklassen: in Fabrikanten und Fabrikarbeiter. Die ersteren lassen sich leicht an den Fingern herzählen, die letzteren mögen sich über 46.000 bis 50.000 belaufen. Der übrige gewerbtreibende Teil ist nämlich zum größten Teil derart von diesen abhängig, dass man sie notwendig dazuzählen muss. Selbst die anderen sind in das Schicksal der Fabriken so eng verflochten, dass endlich das ganze Wohl und Weh der Bürgerschaft davon abhängt. Zum Vergnügen wird nicht leicht jemand hier leben wollen.
(Kolping Schriften 3, S. 33)
Industrie-Arbeiter, Hungerlöhne und Missachtung der Menschenwürde (1848)
Der größte Teil der Arbeiter verdient gegenwärtig, auch wenn er Arbeit hat, kaum oft nicht mal das tägliche Brot. Der Arbeitslohn ist seit Jahr und Tag immer tiefer gesunken; wie die Konkurrenz stieg, wurden die Preise gedrückt, die Last fiel auf den Fabrikanten, der legte sich mit seiner ganzen Schwere auf die Arbeiter. Wer zuunterst liegt, trägt die Last. Mir wurden unter anderem Tücher gezeigt, die vor drei, vier Jahren noch zehn bis zwölf S[ilber]gr[oschen] Arbeitslohn abwarfen, für die man jetzt nur vier bis fünf zahlt. Es wäre interessant, die Arbeitslöhne für die verschiedenartigsten Artikel der letzten zehn Jahre zu vergleichen; man würde daran eine Skala des Volksglückes finden. Wie oft müdet [!] sich nach langem, trostlosem Harren eine Familie die ganze Woche ab und weiß doch kaum zwei bis drei Taler zu erschwingen, die unter den hiesigen Verhältnissen wenig heißen wollen.
Dazu bisweilen eine Behandlungsart des Arbeiters, weniger von den Herren selbst als von deren Untergebenen, die oft empörender Natur ist. Und der Arbeiter duldet, leidet, schweigt, will er sich die Schlinge, welche ihm die unseligen Verhältnisse um den Hals geworfen, nicht noch fester, wenn nicht zum Ersticken, anziehen. Daß für solche Dinge Fabrikengerichte nicht ausreichen, weiß jeder, der in solchen Angelegenheiten Erfahrungen gemacht hat. Ich sage es nochmal: Unsere heutige Industrie ist raffinierter kalter Egoismus, wie er kaum schlimmer in der Welt gewesen, und dieser übt maschinenartig eine Tyrannei auf Herren und Knechte aus, wie sie in gewisser Weise je fühlbarer gehaust. In der Tat, die handgreifliche Wirklichkeit gibt gewissen Feinden der Menschheit scharfe Waffen in die Hände.
(Kolping Schriften 3, S. 38)
Die Situation der Fabrikarbeiter (1864)
Muss der Arbeiter seine ganze irdische Existenz auf die Arbeit und den Lohn gründen, welche ein anderer ihm gewähren muss, dann ist und bleibt er von seinem sog. ,Arbeitgeber' abhängig. Seine Arbeit ist ein Gegenstand der Spekulation, steigt und sinkt im Wert nach der steigenden oder sinkenden Nachfrage, wie es bei jeder Ware der Fall ist. Man sieht, hier ist man bei der Fabrik angekommen, denn hier wird der Arbeiter als Fabrikarbeiter angesehen und behandelt. Allerdings, auch bei vieler Fabrikarbeit ist eine Vervollkommnung der Arbeit, also auch eine Erhöhung des Lohnes möglich, doch ist dieses auch im besten Falle nur in beschränkter Weise der Fall; die meiste Fabrikarbeit aber verlangt ein ziemlich geringes Maß von Ausbildung, Fähigkeiten und körperlichen Kräften. Daher kommt es, dass weitaus die meisten Fabrikarbeiter nur für eine eng begrenzte, bestimmte Arbeit geschickt und fähig sind. Um so enger sind sie dem Fabrikanten und seiner Fabrik einverleibt – hörig. So wird der Fabrikarbeiter untertan, hörig und endlich Sklave des ,Geschäftes', dem er dient.. . Dass zwischen dem alten Hörigkeitsverhältnis und dem neuen der Fabrikarbeiter ein gewaltiger Unterschied besteht, sieht jeder leicht ein. In dem neuen Hörigkeitsverhältnis fehlt jedes deutlich ausgesprochene, anerkannte Rechtsverhältnis, und doch ist es eine unbestreitbare Wahrheit, dass soziale Fragen nicht bloß in Gnade und Barmherzigkeit, sondern nur in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gelöst werden.
(Brauer, S. 78 f) zitiert nach Kirche und soziale Frage – Themen und Texte. Hrsg. Hubert Mockenhaupt, 1987, S. 46
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