|
5. Die Elberfelder Zeit
Nach empfangener Priesterweihe eilte Kolping zu den Seinen nach Kerpen. Zunächst hatte er die schmerzliche Pflicht, den Vater zu bestatten, dann die wonnevolle, sein erstes Messopfer Gott darzubringen. Die Freude, die eine feierliche Primiz zunächst dem Neugeweihten, der Familie und den Freunden desselben und in weiterer Linie der ganzen Pfarrgemeinde bringt, der das Glück beschieden ist, einen ihrer Söhne am Altar zu sehen, war, wie bemerkt, durch den unmittelbar vorangegangenen schmerzlichen Verlust des braven Vaters eine umflorte. Es hatte im Plane Kolpings gelegen, in der festlichsten Weise sein erstes heiliges Messopfer darzubringen; es sollte sich die Feier zu einem großartigen, der göttlichen Vorsehung, die sich in Kolping so wunderbar erwiesen, darzubringenden Dankgottesdienste gestalten. Professor Dieringer aus Bonn hatte daher die Primizpredigt bereits Ende März zugesagt.
Kolping hielt ein feierliches Hochamt in Kerpen, und es verlief dabei alles genau so, wie der sterbende Vater es einige Stunden vor seinem Tode gesehen hatte. Während der kurzen Ferien predigte dann, wie es Neugeweihte gerne tun, der jungen Priester in seiner Heimatpfarre über den Text: „Du folge mir nach.“ Die sorgfältig ausgearbeitete Predigt behandelt die beiden Fragen: 1. Warum wir Christus dem Herren nachfolgen sollen, und 2. Worin hauptsächlich diese Nachfolge besteht.
Nunmehr begab sich Kolping auf seine Kaplansstelle nach Elberfeld, wohin er von der erzbischöflichen Behörde ernannt war. Seine reife Erfahrung und sein früherer langjähriger Umgang mit dem arbeitenden Volk empfahlen ihn der kirchlichen Obrigkeit besonders für die seelsorgliche Wirksamkeit in Elberfeld. Er rückte an die Stelle des Kaplans Frings, dessen Name im katholischen Deutschland den besten Klang hat. Wie sein Vorgänger wurde auch Kolping Religionslehrer für die katholischen Schüler des Gymnasiums.
In der in so mancher Hinsicht wichtigen Stellung sollte Kolping jetzt vier Jahre nach allen Seiten hin tätig sein. Elberfeld ist eine der Städte am Niederrhein, die durch ein schnelles Anwachsen aus unbedeutenden Orten sich zu Großstädten im vollsten Sinne des Wortes heraufgearbeitet haben. Mit der Bevölkerungsziffer schwoll auch die Zahl der Katholiken von Jahr zu Jahr gewaltig an und verlangte die Pastoration derselben von den Pfarrgeistlichen schwere, opfervolle Arbeit. Kolping fand also in Elberfeld ein seine Kraft vollauf in Anspruch nehmendes Arbeitsfeld. Es liegen uns u.a. 87 vollständig ausgearbeitete Predigten vor, bis zum letzten Wort in der ihm eigenen höchst zierlichen Handschrift zu Papier gebracht; dieselben sind bei den verschiedensten Anlässen gehalten und befinden sich darunter neben gewöhnlichen Sonn- und Festtagspredigten zwei Zyklen für die Fastenzeit, mehrere für die Andacht der Bruderschaft vom guten Tod usw. Schon damals zeigte sich Kolping als Meister in der höheren Homilie, in der er sich bis an sein Lebensende auszeichnete.
Es ging unserm Kaplan indes, wie es gar manchen neuen Priestern ergeht. Sie begeben sich auf ihre Stellen mit dem festen Entschluss, die freien Stunden mit theologischen und anderweitigen Studien getreulichst auszufüllen. Jedoch die Praxis mit ihrer ganzen, oft erdrückenden Wucht macht sehr bald ihre Rechte geltend, und es gehört ein höchst strebsamer Geist und ein sehr fester Charakter dazu, um mit der kostbaren Zeit hauszuhalten und die wenigen Mußestunden, die den eigentlichen Berufsarbeiten abgerungen werden können, zur Fortbildung zu benutzen. Wenn das Vorhaben jedoch, trotz der besten Entschlüsse, selten gelingt, wenn das absolut und in erster Linie Notwendige das Erwünschte und Erhoffte fast immer zurückdrängt, wenn tausenderlei große und kleine Berufsarbeiten ermüden und fürs Studium ungelenk machen, dann zieht nicht selten eine gewisse Sehnsucht nach einer grünen stillen Insel, heiße sie nun Land-Kaplanei oder gar Kloster, durch die Seele eines abgehetzten Priesters. Wohl ihm, wenn er in solchen Momenten eines aufrichtigen Seelenfreundes nicht zu entraten braucht!
Auch Kolping fühlte in Elberfeld nicht selten ein heißes Sehnen nach Sammlung, Studium und den stillen Freuden der Einsamkeit. Er machte davon seinem Freunde Wollersheim mehrmals Mitteilung, und dieser sprach ihn brieflich Trost zu und richtete den sinkenden Mut auf. Einmal, als Kolping bereits längere Zeit in Elberfeld gewirkt hatte und schon im Jünglingsverein tätig war, schrieb Wollersheim ihm folgendes: ... Ich sehe, dass noch vieles von dem alten unruhigen und feurigen Kolping in Ihnen steckt, der bald zu hoch fliegen will und dann wieder sich zu tief hinabsinken lässt, bald die Welt aus ihren Fugen reißen will, bald wieder glaubt, für nichts zu taugen, als für ein Hüttchen in der Eifel; bald es mit Tausenden aufnehmen will, bald mit einem nicht fertig werden kann; bald begeistert ist von dem schönen Jünglingsverein, bald sich aus dem Wuppertale hinaussehnt. Wo liegt die Mitte? Lieber Freund, da, wohin Sie der gute Hirt gesetzt hat: zu Elberfeld, im Wuppertale. Was nützt alles Wünschen und Hoffen! Was hilft alles Jammern und Klagen? Es geht doch nur, wie Gott will. … Das Gebet wirkt mehr als unsere Arbeit. Aber diese muss darum nicht unterbleiben. Beides gehört zusammen, und was die Arbeit und Anstrengung oft nicht vermag, das vermag oft das Gebet. …“
Doch nun ist es an der Zeit, mit aufmerksameren Blicken die Wiege des Gesellenvereins in Elberfeld zu betrachten. Vorerst und vor allem gilt es jetzt, einen weit verbreiteten Irrtum, dem fast alle bisherigen Biografen Kolpings unterlagen, zu berichtigen. Die fast allgemein adoptierte Meinung ist die, Kolping habe in Elberfeld den Jünglingsverein gestiftet und aus diesem sei der Junggesellen- und in weiterer Folge der Gesellenverein entstanden. Es machte sich das so natürlich und es verstand sich einigermaßen so von selbst, dass man fest annahm, Kolping sei nach Elberfeld gegangen mit dem in seinem Geist nach allen Seiten hin erwogenen, längst gereiften Entschluss, einen Gesellenverein dort zu stiften; letzterer sei, wenn wir so sagen dürfen, wie nach antiker Sage Pallas vollständig gewappnet und ausgerüstet aus Jupiters Haupt entsprang, fix und fertig aus Kolpings Geist geboren worden. Die Tatsachen belehre uns freilich eines andern. Ist es eine der ersten Anforderungen, welche die Welt an einen Geschichtsschreiber stellt, dass er erstens nichts Falsches sage und zweitens nichts Wahres verschweige, so müssen auch wir, wie überall, so auch hier der Wahrheit die Ehre geben.
Wohl kannte unsere Elberfelder Kaplan die moralische Not des Handwerks mehr wie einer, und zwar aus eigener Anschauung, und gewiss hat er oft darauf gesonnen, wie ihr abzuhelfen oder sie wenigstens zu mildern sei. Gott hatte ihn wunderbar geleitet und mit den Eigenschaften eines Apostels für das Handwerk reich ausgestattet; die ersten Fäden des Vereins jedoch liegen nicht in seinen, sondern in anderen Händen. Wir werden, wenn wir dies jetzt zu zeigen uns anschicken, einen falschen Stein, den andere ihm in seine Ehrenkrone gefügt, ausbrechen, damit die wahren und echten Steine umso glänzender erstrahlen. Gott hat es so gewollt, dass Kolping, ehe er der „Vater“ des unter seiner Leitung sich in so erstaunlicherweise verbreitenden Vereins wurde, erst in fast untergeordneter Stellung an einer Verbrüderung sich beteiligte, die weder von ihm noch eigentlich von andern, sondern durch eine, wir dürfen es kühn aussprechen, wunderbare Verkettung von Umständen in der Hauptstadt des Wuppertales sich gestaltete. Man wird deshalb auch keinen Augenblick anstehen, wie die Ausbreitung, so auch die erste Grundlegung des Gesellenvereins auf nichts mehr und nichts weniger als auf die göttliche Providenz selber zurückzuführen.
Wir sprachen soeben von der Bedeutung, dem Wachstum und dem frischen kirchlichen Leben in Elberfeld. Wir müssen hier aber auch zusetzen, dass Elberfeld, wie früher schon, so besonders in den vierziger Jahren, ein recht fruchtbarer Boden für Sektenbildungen und Agitation gegen die katholische Kirche war. So kam denn auch, wie die älteren Leser sich noch gut erinnern werden, im Spätherbst 1844 der sogenannte Deutsch-Katholizismus dorthin. War er auch nur einen schwindsüchtiges Kind, so wurde er vielleicht gerade um deswillen von vielen Andersgläubigen gehätschelt, welche das Wesen und die Lebenkraft der von Gott gestifteten katholischen Kirche nicht kennen. Die Katholiken überhaupt, besonders aber die des schützenden Heims entbehrenden, zugewanderten katholischen Gesellen, waren mannigfachen Beeinträchtigungen, in den Arbeitsstätten und öffentlichen Lokalen mancherlei Anfeindungen, von Seiten der Presse in Tagesblättern und Flugschriften vielfachen Angriffen und durch die verschiedenartigsten Agitationen den größten Gefahren katholischen Glauben ausgesetzt. Der Wucht der Angriffe entsprachen aber auch die Abwehr und die Gegenmittel. unter der umsichtigen und energischen Leitung des erst vor einigen Jahren verstorbenen Pfarrers Friderici stand die Pfarrgeistlichkeit mit der Treue und Sorge guter Hirten auf ihrem Posten und neben ihr ein Kreis von erleuchteten, für die Ehre Gottes und das Wohl der Nebenmenschen zu jedem Wirken und Opfer bereiten Laien.
Am Fronleichnamsfeste des Jahres 1844 begab es sich, wie es in Elberfeld der Brauch war, die Kinder zum Empfange der ersten heiligen Kommunion in feierlichem, durch Fahnen und religiöse Sinnbilder verherrlichtem Festzuge von der Mädchenschule aus zur Pfarrkirche. Verfehlt eine solche Prozession unschuldiger Bräute Gottes nie des tiefen Eindrucks auf alle, die dieselbe ansehen, so brauchen wir uns nicht zu wundern, dass zwei wackere Gesellen, beide Schreiner von Profession, nämlich Georg Gerlach aus Stadtberge und (der im Jahre 1878 in Lippstadt verstorbene) Fritz Kamp aus Volmarshausen bei diesem Anblick aufs höchste ergriffen worden. Sie fassten den Plan, ihre katholischen Mitgesellen zu veranlassen, sich zu einer Korporation zusammen zu tun, und beschlossen, alles, was in ihren Kräften stehe, aufzubieten, um eine Marianische Bruderschaft zu gründen; diese sollte dann am nächst folgenden Feste des Kirchenpatrons, des heiligen Laurentius, dem Tage der großen Elberfelder Stadtprozession, bei derselben öffentlich auftreten. Natürlich dachten sie auch sofort an das, wofür, wie die Erfahrung zeigt, junge Leute zunächst schwärmen, nämlich an eine schöne Fahne. Sie begaben sich also zu den ältern Kaplan Herrn Steennaerts, der sie in ihren schönen Entschlüssen bestärkte und ihnen einen Aufruf zur Sammlung von Gaben für eine Fahne verfasste. Sie sammelten nun an Sonntagen bei den ihnen bekannten und zugänglichen katholischen Gesellen. Die Geistlichkeit half nach, der Pfarrer Friderici durch eine ansehnliche Gabe, Kaplan Steennaerts durch billige Besorgung der Stoffe, Kaplan Kolping durch Beschaffung der Ölbilder Sankt Josef und Sankt Aloysius von dem ihm befreundeten Maler Asselborn. Am Sonntag vor Sankt Laurentius im Jahre 1845 segnete der Pfarrer die Fahne und ermunterte die Gesellen zur Beharrlichkeit.
Inzwischen hatten die beiden Sammler die beitragenden Gesellen auch zur Einübung von Kirchenliedern für die Laurentius-Prozession auf die Werkstätte des Meisters Thiel eingeladen. Letzterer hatte schon früher aus eigener und fremder Erfahrung die großen Gefahren, die den katholischen Gesellen durch den Besuch von Versammlungen Andersgläubiger und durch den Verkehr auf den Handwerker-Herbergen drohten, kennengelernt und das Bedürfnis eines passenden Versammlungsortes für katholische Gesellen tief empfunden. Niemand war daher froher als er, als sich eine Anzahl Gesellen sonntags auf seiner Werkstätte einfand und dort einige unschuldig heitere Stunden bei einem Glase Bier und fröhlichem Gesang verbrachte, wobei er als Dilettant die Geige spielte. Auf seiner Werkstatt wurden denn auch die ersten Gesangsübungen für die Laurentius-Prozession abgehalten. Aber der Zufluss der Gesellen mehrte sich; schon nach der dritten Gesangsstunde war die Werkstatt zu klein, und man sah sich veranlasst, das Lokal des durch den Jakob Ermekeil gegründeten „Armen-Kranken-Vereins“ als Versammlungsort zu wählen. Dieses Lokal war die Schule des Lehrers Johann Gregor Breuer.
Es machte einen tiefen Eindruck, als die Fahrkartengesellen bei der Prozession hinter ihrer stattlichen Fahne her schritten und ihre Gesänge ertönen ließen (am 6. August 1846). Schon früher hatte Breuer darauf hingewiesen, was die Gesellen bei der nächstjährigen Feier würden leisten können, wenn sie ihre bisherigen Übungen regelmäßig fortsetzen wollten. Es geschah, und immer mehr Gesellen fanden sich ein. Nun blieb es nicht beim bloßen Gesange, es schlossen sich Erzählungen, Vorlesungen, gemütliche Unterhaltung daran an. Kaplan Steenaerts hielt ihnen an den Sonntagen Vorträge. Sehr bald fand sich auch Kaplan Kolping ein und hielt Vorträge, vornehmlich an Montagen.
So entwickelte sich der Keim, den Gott und gute Menschen in die Herzen strebsamer Jünglinge gelegt, zwar still, aber in erfreulichster Weise. Regel und Ordnung machten sich wie von selbst und ohne geschriebene Statuten.
Durch den Umgang mit den in seiner Schule sich versammelnden Gesellen belehrt, wies Herr Breuer hin auf die Notwendigkeit der Fortbildung, der Stählung des Charakters, kernhafter Religionsität und Moralität, auch auf die Beschaffung eines Heims für die Zusammenkünfte, und sprach wiederholt über diese Punkte; er erbot sich zum unentgeltlichen Unterricht im Schreiben und Rechnen und verfasste im Oktober 1846 eine eingehende und ausführliche Denkschrift. Darin war die Notwendigkeit der Gründung von Fortbildungsanstalten, von christlichen Vereinen für Knaben, Mädchen, Jünglinge, Jungfrauen und vor allem andern eines „Gesellenvereins“ nachgewiesen, der zur Aufgabe habe, einheimischen und fremden Jünglingen und namentlich Handwerkergesellen und Lehrlingen in dem Alter von 18 bis 25 Jahren und darüber durch Vortrag und passende Lektüre Belehrung, Erbauung, Fortbildung, angenehme Unterhaltung und Erheiterung zu verschaffen. Hierzu sei erforderlich 1. ein passendes Lokal, 2. die Verbindung einiger für das Volkswohl begeisterter Männer, 3. eine sich allmählich vergrößernde Bibliothek und 4. Statuten.
Die Denkschrift führte jeden dieser Punkte näher aus und fügte schon gleich ein „Statut des katholischen Gesellenvereins in Elberfeld“ im Entwurf bei. Bei einer gründlichen Beratung des Statuts durch Breuer, Kolping und Steenaerts auf dem Zimmer des letzten wurde der Ausdruck Gesellenverein umgeändert in Junggesellenverein, weil damals einzelne Mitglieder des Vereins nicht Gesellen im engsten Wortsinn waren.
Als Breuer im Anfang November dem Kaplan Kolping einen Besuch abstattete, kam dieser, die Breuersche Denkschrift in der Hand, ihm freudestrahlend entgegen und klopfte ihm auf die Schulter mit den Worten: „Da haben Sie aber ein Ding gemacht, voran ich all mein Lebtag gefreit.“ Er ahnte damals wohl noch nicht, dass nach Gottes Rat durch ihn dieses „Ding“ die rechte Gestalt gewinnen und durch ganz Deutschland und die benachbarten Länder getragen werden sollte.
Hier müssen wir bemerken, dass man von vorne herein darin einig war, dass nicht, wie ursprünglich beabsichtigt war, eine kirchliche Bruderschaft, sondern ein Verein nach Art des ins Leben getretenen not tue; dass man das Religiöse und Kirchliche, obwohl es die Grundlage und Lebenskraft aller Einrichtungen, also auch des Gesellenvereins, sein müsse, doch im äußern nicht zu sehr vorschieben dürfe und wolle, damit nicht solche, welche am meisten des Vereins bedürften, schon sogleich dagegen eingenommen würden. Es sollten den Gesellen keine bestimmten Andachtsübungen aufgelegt werden. So sind denn auch die gemeinsamen kirchlichen Übungen allmählich auf den dringenden Wunsch der Gesellen selbst in Aufnahme gekommen.
Aufgrund des oben erwähnten, von den drei mehrgenannten Männern nach allen Seiten hin durchgesprochenen Statuts fand am 6. November 1846 die Wahl eines Vorstandes statt. Die Stimmen fielen auf den ältern Kaplan Herrn Steenaerts als Präses. Unter dem Vorsitz des Präses wurden dann zwei Vorsteher gewählt, Lehrer Breuer als Sekretär und der oben genannte Jakob Ermekeil als Kassierer; ferner vier Assistenten oder Sammler. So war also der frühere Gesangverein in einen Junggesellenverein verwandelt.
In dem jungen Verein herrschte gleich anfangs ein sehr frisches, tätiges Leben. Von Beginn bis zum 15. November 1846 ließen sich bereits 61, von da ab bis 29. April 1847 41 Mitglieder einschreiben. Der Präses Steenaerts hielt, wie bemerkt, in der Regel an den Sonnabenden, Kolping, als ehemaliger Standesgenosse und Sohn des ehrbaren Schusterhandwerks von den Gesellen hoch geschätzt, an den Montagen Vorträge über den Handwerkerstand unmittelbar betreffende Dinge. Breuer, dessen große Verdienste um den Elberfelder Verein nicht gebührend genug anerkannt werden können, sorgte für alles Übrige, erteilte Unterricht im Gesang, Rechnen, Schreiben und sorgte für Lektüre und Unterhaltung. Daneben taten die Mitglieder des Vorstandes ihre volle Schuldigkeit. Es war ein wahrhaft herzerhebendes Leben in der kleinen Herde. Noch jetzt, wo der Elberfelder Mutter Verein das stattliche, im Jahre 1871 eingeweihte Gesellenhaus besitzt, behaupten die „Alten“, die heute noch zwischen unzähligen jungen Leuten dort aus- und eingehen, dass die erste Heimstätte, so eng und arm sie war, doch die vergnüglichste und traulichste für sie gewesen sei.
Die gemeinsame Feier der sonn- und festtäglichen heiligen Messe, die viermalige gemeinsame heilige Kommunion, dass korporative Auftreten bei kirchlichen Feierlichkeiten, die Anregung zum Besuche kranker Mitglieder und zu anderen Werken der Bruderliebe, der Unterricht, die Vorträge, die Lektüre, der Gesang, der gegenseitige Austausch der Kenntnisse und Erfahrungen, die gemütliche Unterhaltung, kurz, alles vereinte sich, die Gesellen sowohl für Religion und Tugend, als auch für ihre geschäftliche Stellung und ihr materielles Fortkommen auszubilden.
Im Mai 1837 wurde Steenaerts Pfarrer von Wermelskirchen (später Pfarrer von Nettesheim, wo er am 1. Juni 1870 starb). Der Verein widmete dem Scheidenden ein herrliches Gedicht, verfasst von Breuer.
Die Wahl als Präses fiel nun auf Kolping. Wie es kam, dass er nicht, wie man hätte erwarten sollen, einstimmig gewählt ward, das wird jeder beantworten können, der Kolping gekannt hat. Kolping hatte, wie bereits bemerkt, bei aller Güte seines Herzens eine etwas eckige Außenseite, die sich hier und da in einer für diesen oder jenen empfindlichen Weise geltend machte. Wir finden dies nicht selten bei außergewöhnlichen Männern, namentlich bei solchen, welche Gott zur Erreichung von Zielen bestimmt hat, die nur durch zähe Energie und ausdauerndes Schaffen zu erringen sind. Ein edler Kern ist da oft von einer äußerlich etwas rauen Schale umschlossen; nur auf den edlen Kern zu schauen und die Ecken und Kanten unberücksichtigt zu lassen, ist nicht alle Leute Sache. Das ist die eine Antwort. Die andere nimmt, wie wir oben schon angedeutet, ihre Begründung aus den Ratschlüssen Gottes, der auch diesmal durchblicken zu lassen schien, dass ein Werk wie die Ausbreitung des Gesellenvereins in erster Linie Gottes, und erst in zweiter der Menschen Sache sei, auf dass wir alle in heiliger Demut verbleiben. Darum musste Kolping im Verein erst in untergeordnete Stellung verbleiben, um dann Präses zu werden, erst hinter andere zurücktreten, um dann in seiner vollen Bedeutung auf dem Plan zu erscheinen.
Mit dem Eifer eines Apostels widmete sich nun Kolping dem Amte, das ihm zugefallen war. Ein Ereignis, welches für die katholische Gemeinde Elberfeld unvergesslich bleiben wird, gab dem schönen Werke eine ganz besondere Förderung. Am 7. Juli 1847 geehrte der Erzbischof von Köln, Johannes von Geissel, Elberfeld für mehrere Tage mit seinem hohen Besuche zum Behuf der Konsekration der dortigen Kirche und zur Spendung der heiligen Firmung. Unbeschreiblich war die Begeisterung bei den Katholiken und teilte sich selbst den Protestanten, namentlich der höheren Stände, mit. Auch der Gesellenverein war hervorragend tätig; er nahm bei dem Einholungszuge die erste Stelle ein und zog die Aufmerksamkeit des hohen Herren durch seinen ergreifenden Gesang auf sich, in dem er das Pontifikalamt mit wohl eingeübtem Choral begleitete und dem Kirchenfürsten an einem Abende ein Ständchen in der Katechesierstube des Pfarrhauses brachte. Der Erzbischof kam und lauschte; neben ihm in der Tür stand der frühere Präses Steenaerts, welcher ihm den jungen Verein und dessen Förderung ans Herz legte; vor ihm hatten sich die Gesellen mit dem Vorstande aufgestellt, an der Spitze Kolping, welcher in ergreifender Ansprache ausführlich die Notwendigkeit, den Zweck und die bisherige Wirksamkeit des Vereins darlegte und diesem Werke den bischöflichen Segen erbat. Der Erzbischof widmete dem Verein und seinen Leitern Worte der huldvollsten Anerkennung und der Aufmunterung zur Beharrlichkeit und erteilte ihm dann den oberhirtlichen Segen.
Es kam nun das Sturmjahr 1848. Was er brachte, wie fast eine Stadt nach der andern ihr größeres oder kleineres Revolutiönchen sah, wie namentlich in Elberfeld ein längerer erbitterter Barrikadenkampf tobte, ist noch in vieler Erinnerung. Der Klerus trat in unerschrockenster Weise auf und war im Sinne der Ordnung unermüdet tätig. Wie ein Fels im tobenden Meere stand der Junggesellenverein da, ein Schutz für seine Kinder, die alle Verlockung widerstanden und Besseres zu tun hatten, als Beklatscher jener Brandreden abzugeben, von denen lagelang die öffentlichen Lokale widerhallten. In aller Gemütsruhe kümmerte der Verein sich lediglich um die eigenen Zwecke. Man bereitete das Statut, das sich als probat bewährt hatte, für den Druck vor und redigierte es neu, indem man an dem geschriebenen Statut von 1846 Einiges änderte. Es trägt das Datum des 9. Oktober 1848. Kolping fügte demselben folgendes Schlusswort bei:
Den Mitglieder des katholischen Jünglingsvereins
„Der Mensch ist seines Glückes es eigener Schmied“, sagt das Sprichwort und, heißt es anderwärts, „was man in der Jugend säet, wird man im Alter ernten“. Wolan denn, schmieden wir mit ernster, besonnener und fröhlicher Kraft an unseren Glücke, sähen wir bei Zeiten mit rüstiger Hand guten Samen auf ein gutes Erdreich, dass die Saat gedeihlich wachse aus der Jugend in das reifere Mannesalter hinüber, und ihre Früchte uns erfreuen, selbst über das Grab hinaus. Glücklich aber wird der Mensch, wenn er, zufrieden mit der Stellung, die ihm Gott gegeben, gerade mit Ehren und Treuen den Platz ausfüllt, den die Vorsehung ihm zugewiesen; wenn er sich eifrig bestrebt, tüchtig das zu sein und zu werden, was er sein und werden soll. Ihr seid, meine Freunde, junge Männer, die sich auf ihren künftigen Beruf vorbereiten sollen, die einst als tüchtige Bürger, als Haus- und Familienväter nicht bloß den Ihrigen vorzustehen haben, sondern deren Wohlergehen auch auf der Achtung und dem Zutrauen beruht, welches andere Leute in Euch setzen. Wollt Ihr der Achtung Eurer Mitbürger dann wert sein, soll ihr Zutrauen Euch entgegenkommen, müsst Ihr jetzt Euch bereits desselben wert machen, müsst Ihr jetzt bereits Achtung und Zutrauen Euch erwerben. Wollt Ihr einst tüchtige Meister, tüchtige Hausväter werden, müsst Ihr jetzt tüchtige Gesellen, tüchtige Arbeiter sein in dem Fache, wozu die Neigung oder göttliche Fügung Euch berufen. Euch dazu anzuleiten, den Zweck Eures Lebens klar und deutlich vorzuhalten, nach unseren Kräften Euch diesem Ziele zuzuführen, bewahrend und fördernd Eurem kostbaren Alter den Wert mitzuteilen, den es hat, haben wir den Verein gegründet, als dessen Mitglieder ich Euch mit Freuden begrüße. Was dem einzelnen zu schwer wird, oder woran er oft verzagt, dass gedeiht ohne Mühe, wenn gemeinsame Kräfte, sich gegenseitig Stütze und Halt, dem Ziele zustreben. Mit dem Vorsatze also, jetzt tüchtig zu sein, was Ihr seid, um das tüchtig zu werden, was Ihr werden sollt, Euch auszubilden nach Kräften für Euren künftigen Beruf, seid Ihr unserm Verein beigetreten. Haltet denn den wahren Zweck Eures Lebens, der zugleich anzustreben der Zweck unseres schönen Vereins ist, stets lebhaft vor Augen und versucht ihn zu erreichen mit rüstiger Kraft. Zur wahren Tüchtigkeit des Menschen gehört aber, dass er an Leib und Seele tüchtig sei, und ich verstehe darunter, dass der Mann sein Geschäft, welches es auch sei, tüchtig und gründlich verstehe, es ordentlich zu führen und zu halten wisse und dass er ein tüchtiger, ehrenwerter Christ sei im Innern und nach außen. Tüchtige Christen also wollt Ihr sein, und Ihr habt recht. Ohne ein kräftiges, lebendiges Christentum ist es mit den Menschen nichts und wird es auch nichts. Ohne ein tüchtiges Christentum kein kräftiger Halt im Leben, keine wahre Zufriedenheit, keine rechte Tugend, keine dauernde Rechtschaffenheit, ohne lebendiges Christentum kein Glück. Das Christentum ist die eigentlich gesunde Kraft im Leben; wo es mangelt, ist das Leben krank. Deshalb wollt Ihr Euch in Eurem Glauben mehr und mehr unterrichten lassen, und in der Tat, je mehr man ihn kennenlernt, umso lieber übt man ihn. – Und tüchtige Geschäftsleute wollt Ihr werden, – natürlich, dann müsst Ihr Euch jetzt schon einen männlichen Ernst, an Ordnung, Tätigkeit, Umsicht, Sparsamkeit gewöhnen, müsst Ihr jetzt Euren Stand lieb gewinnen und alle Kräfte aufbieten, Euer Geschäft tüchtig und gründlich kennen zu lernen. Dass Ihr das wollt und deswegen Euch unserem Verein angeschlossen habt, ist ein gutes Zeugnis für Eure Zukunft. Bleibt denn der Sache, Eure guten Vorsätze getreu, der Lohn wird für euch selbst nicht ausbleiben! ...“
Euer Präses Elberfeld, im Oktober 1848 Adolph Kolping, Kaplan
Diese Ansprache zeigt uns Kolping bereits als den vollen Präses. Es ist jene Redeweise, die ihm so ganz eigen war und die, wo immer er später als Gesellenvater sprach, bekanntlich überall zündete und die Herzen eroberte. Wir sehen aus dieser Ansprache, dass er, der im Anfang der zweite im Verein Elberfeld war und als solcher weniger hervortrat, nunmehr seine Aufgabe als ein ihm von Gott zugefallenes Pensum nach ihrer ganzen Größe und Wichtigkeit erfasst hat und dass nun die Zeit gekommen, da er sich als begeisterten und begeisternden Führer der Jugend des Handwerks, als „Gesellenvater von Gottes Gnaden“ berufen fühlt.
Ungleich mehr tritt dies hervor in einem Schriftchen, das er im Oktober 1848 verfasste und das nicht nur auf die Bewohner Elberfelds, sondern auf „alle, welche es mit dem Volkswohl gut meinen“, wo sie auch ihren Wohnsitz haben mögen, berechnet ist. Auf dem Titel desselben lesen wir schon nicht mehr das Wort „Jünglingsverein“, sondern „Gesellenverein“, welches uns zwar die Beschränkung der Tätigkeit, aber auch die Vertiefung derselben innerhalb eines bestimmten Standes, nämlich des Standes der Handwerksgesellen, als Aufgabe erkennen lässt. Die Schrift trägt als Motto den später so oft zitierten Satz: „Tätige Liebe heilt alle Wunden, bloße Worte mehren nur den Schmerz.“ Man darf wohl behaupten, dass dieses Motto ein Programm darstellt und bei aller Kürze die volle Idee des Werkes Kolpings bezeichnet. Analysieren wir die vortreffliche Schrift in folgendem.
Es herrscht, so führt der Verfasser aus, in allen Schichten unserer bürgerlichen Gesellschaft so viel moralisches Elend, dass man, wollte man es schildern, mit der Wahl in Verlegenheit geräte. Schwieriger noch würde die Aufdeckung der Heilmittel und am schwierigsten die Anwendung derselben sein. Soll man nun die Schäden unbeachtet lassen? Soll man nicht auf die Mittel zur Hebung derselben denken? Soll man nichts dafür tun? Soll man nicht wenigstens, wenn man nicht alle Schichten bessern kann, bei einem Stande anfangen? – Ich habe mir nun einen Stand herausgenommen, den man bisher wenig beachtet hat; mir ist er wichtig genug vorgekommen; ich habe mich, nachdem ich früher seine Leiden verkostet, seiner Rettung gewidmet und bitte andere um ihre Mithilfe. Welche Menschenklasse ist das?
Er schildert nun in diese Klasse, malt uns mit frappanten Farben und in packender Darstellung den Handwerksburschen seiner Zeit, schildert die frivolen Gesänge, das liederliche Herbergswesen, die Unordnung an Leib und Seele, die abgerissenen Fechtbrüder auf der Landstraße, das lose, plagende Völkchen, dass nach Vogelart durchs Land flattert und sein Futter auf fremden Äckern sammelt. Er schildert die unreinlichen Werkstätten und ihre Insassen, die kärgliche Mahlzeit und das lumpige Lager. Erinnert daran, was aus diesen Leuten wird, wenn sie erkranken. „Wohl ihnen“, ruft er aus, „wenn die Hand einer barmherzigen Schwestern sie pflegt – wehe, wenn sie verlassen liegen, vielleicht an selbstverschuldetem Siechtum, voll Misstrauen und Hass gegen die Gesellschaft und ohne wirksame Hilfe zur moralischen Erstarkung!“ Um diese Menschenklasse, aus welcher sich doch der eigentliche Bürgerstand ergänzen soll, kümmert man sich in der Regel weniger, als um ein Insekt und seine Entwicklung. Und diese Leute sollen doch Stammbürger und Familienväter werden! „Ich“, so sagt er weiter, „will mich um sie kümmern, will ihre Leiden und Freuden, ihr Leben nochmals prüfen und auf Heilmittel für sie denken. Auf die Quälereien, die sie als Lehrlinge ausstehen und in den Gesellenstand hinübernehmen, auf das Wandern, welches sich von außen zwar poetisch ausnimmt, aber durch eigene Unerfahrenheit und fremde List und Ränke so gefahr- und verhängnisvoll für den armen Reifenden selber ist, auf alles das, worüber man ein Buch schreiben müsste, wollte man es weitläufig beschreiben, will ich auf aufmerksam machen.“ Die sittlichen Veränderungen können jedoch durch bloß äußerliche Mittel nicht gehoben werden. Er weist auf die groben Entheiligungen des Sonntags und auf die Pest des blauen Montags hin, auf die Verlumpung in Bezug auf das, was Leib und Seele umgibt, auf die schlechte Lektüre, welche die Unsittlichkeit und den revolutionären Sinn nährt; er findet es fast natürlich, dass ordentliche Leute dieser Sorte Menschen scheu aus dem Wege gehen und nur solche mit ihnen verkehren, die um ihre Groschen buhlen. „Ich habe ja,“ sagt er, „selbst in den Abgrund gesehen und mehr erfahren, als ich erzählen mag. Aber soll ich sie deshalb preisgeben?“ Sind nicht auch noch gute Elemente unter ihnen?
Nun bringt er die Gründe vor, die unser Urteil über diese Klasse milder stimmen müssen. In der Regel stammt solch ein Geselle aus einer armen Familie; ohne besondere Schulkenntnisse wählt er aus, seine Eltern sind froh, den Sohn los zu werden — oder er ist gar ein Waisenkind, das von seinem Vormund bei dem ersten besten Meister in die Lehre gegeben worden ist.
Nun kommt er in ein Haus, wo er als nichts weniger denn als Familienglied betrachtet, oft vom Meister, dessen Frau und den Gesellen als Diener ausgenutzt wird. Er fällt den Gesellen anheim, die lehren ihn das, was sie selber treiben, und er merkt sich’s nur allzu gut. Der tollste unter den Gesellen wird sein Ideal. So vergeht die Lehrzeit, in der sehr viel, nur das Rechte nicht, gelehrt worden ist. Geist und Gemüt sind nicht genährt, der Einfluß der Religion ist sehr geschwächt. Er hat nun eigenes, verdientes Geld in der Tasche. Nun will er zeigen, was er ist. Mangelhaft in der Handhabung seiner Kunst, klammert er sich an die erfahreneren Gesellen, muß aber auch ihren Lobredner abgeben, mit ihnen in dasselbe Horn stoßen und noch dazu Lehrgeld zahlen, d.h. im Wirtshause. Reist er in die Welt, weit fort von Familie und Heimat, dann erst recht wehe ihm! Angeschmiedet an eine sehr fragwürdige Umgebung, lernt er neben einigem Guten viel Schlechtes. Es nimmt sich seiner ja niemand an und er entbehrt allen Schutz. Gehetzt von Meister und Gesellen, wird er seiner Religion nicht mehr froh, sie wird ihm gleichgültig. Im seinen Feierstunden mag er auf der Straße oder im Wirtshaus die ihm reichlich zugemessene Freiheit austoben. Ja, wenn’s noch wäre wie in frühern Zeiten, wo Lehrlinge und Gesellen zur Familie des Meisters gehörten und das Ansehen des Meisters Zucht und Ordnung hielt! Aber was gebrochen ist, ist gebrochen und der Bruch kann nur sehr langsam geheilt werden. Ein trübes Bild! Aber es hat auch Lichtseiten. Es gibt ja auch noch tüchtige, ordentliche Menschen unter den Gesellen, vielleicht äußerlich ohne Schliff, aber innerlich noch gesund. Die durchgemachte Leidenschule hat ihren Willen abgehärtet und die vorhandene lebensfrische Kraft gestärkt; ihnen fehlt nur die Leitung, der rechte Ernst, die Umsicht. Woran liegt das? Daran, dass niemand da war, der zur rechten Zeit ihnen Lehrer und Führer war, niemand ihre eigene Erfahrung und Einsicht durch fremde bereicherte, niemand zur Zeit ihnen die Wahrheit schlicht und ungeschminkt in die Seele redete. Nun schwankt zwischen dem Bessern und den Verlorenen die große Mehrzahl der Arbeiter hin und her, ohne Ziel, ohne Halt, bis sie endlich in irgend einem Winkel sitzen bleiben und, dank der Gewerbefreiheit, mit Weib und Kindern in Not verkommen. Das sind zwar Meister, aber was für Meister? Sie sind geworden, was sie sind, weil man sie vorher ohne Pflege ließ. Daher der vielfach trostlose Handwerkerstand, daher ein Elend, das uns nur mit Schrecken in die Zukunft gehen läßt!
Und doch, wie wichtig ist dieser Stand! „Nicht von der Wichtigkeit rede ich, welche unsere Demagogen ihm beilegen, denen er die Schultern herhalten soll, aus denen sie selbst in den Olymp des Ruhms zu steigen gedenken. Nein, er ist wichtig in ganz anderm Sinne. Er bildet die breite Unterlage des Volkes, auf ihm ruht der Wohlbestand der Bürgerschaft.“ Die Zeit lehrt es, wie mit ihm das Gebäude der Gesellschaft steht und fällt. Die physische Kraft, die an die Arbeit gelegt wird, hebt die moralische. Daher liegt in der arbeitenden Klasse, wo sie noch gesund ist, eine Quelle moralischer Kraft, Sinn für Ehre, Treue, Glauben, Religion. Das wissen die Feinde des göttlichen und menschlichen Rechts sehr wohl und versuchen daher die Künste der Verführung an den Arbeitern. Leider glauben diese vielfach den schönen Worten und folgen den Fahnen der Verführung. Wenn es der arbeitenden Kasse doch an dieser zum Widerstand absolut nötigen physischen und sittlichen Kraft nicht fehlte! Aber sie sind entnervt, und das ist der Jammer. Das Fundament des Volkes ist unterwühlt. „Ich kann zwar,“ sagte er, „nicht glauben, dass es namentlich bei uns am Rhein so schwarz und unheilvoll aussehen soll. Ich meine immer, unsere Leute seien noch empfänglich für Pflege und Leitung; darum möchte ich mich und alle, die dieses lesen, für sie interessieren. Auf die noch gesunden Kräfte müssen wir uns stützen, namentlich auf die Jugend des Handwerks. Oder sollen wir warten, bis das Verderben alles zerfressen hat? Dämmen wir bei Zeiten und legen wir Hand ans Werk, damit diese Klasse unserer Mitmenschen uns wieder achten und dann lieben Ierne. Üben wir wahre Christenpflicht und helfen wir eine bessere Zukunft schaffen, indem wir sie erziehen helfen, der eigenen Kraft zwar freien Spielraum lassend, aber dieselbe in anregender, erziehender Weise auf fragwürdige Gegenstände Ienkend, damit sie so desto energischer dem Guten diene.“
So weit der erste Teil des Schriftchens. In der zweiten Abteilung erörtert er das, was geschehen muss.
Es fehlt, heißt es nun, dem Handwerker 1. ein kräftiger moralischer Halt im Leben, eine freundlich zurechtweisende Hand, eine Sorge um ihn, die sein Vertrauen verdient. Es fehlt ihm 2. die Gelegenheit, sich außer der Arbeit und dem Wirtshause irgendwo behaglich niederzusetzen und sich mit bildenden Gegenständen zu befassen, besonders an den langen Winterabenden. Es fehlt ihm 3. die Gelegenheit, sich für seinen Beruf auszubilden. Es fehlt ihm 4. eine passende, Geist und Gemüt stärkende Erheiterung, die weder das Wirtshaus noch öffentliche Vergnügungsorte geben können. Es muss dann 5. die Religion wieder aufgefrischt, es muss ihm Gelegenheit gegeben werden, seines Glaubens wieder froh zu werden, und 6. muss er thätig sein können in Werken der Liebe für andere und mit andern.
Wie kann das alles geschaffen werden? Man richte ein freundliches Lokal ein, wohlbeleuchtet und geheizt. Dann kommen die jungen Leute und es bildet sich ein Verein, dessen sich achtbare Bürger als Vorstand annehmen, an dessen Spitze ein Geistlicher steht. Es sei alles würdig und behaglich, es feien gute Bücher und Schriften, und zwar nicht bloß religiöse, vorhanden. Mehr wie diesen aber werde dem Iebendigen Wort sein Recht.
Dasselbe gehe auf alles ein, belehre in heiligen und weltlichen Dingen, mahnte, warne, stelle den wahren Beruf, das rechte Lebensziel vor Augen und die Mittel, es zu erreichen. Die Leute sollen zu tüchtigen Bürgern erzogen werden, also zu zweierlei, zu tüchtigen Christen und tüchtigen Geschäftsmännern.
Tüchtige Bürger gedeihen aber nur in einem tüchtigen Familienleben. Das fehlt; suchen wir es also in einem Verein zu ersetzen und dasselbe dort anzubahnen. An Stoff zur Belehrung kann nicht fehlen. Das Volksleben, seit man die Kirche demselben immer mehr zu entfremden gesucht hat, in hohem Maße vernachlässigt — und die Polizei kann es gewiß nicht ersetzen, — finde seine besondere Pflege; liegt ja, so wild das Volk sich gegenwärtig aufbäumt (im Jahre 1848!), noch viel gesunde Kraft im Volke, aus der nur mit freundlicher, aber fester Hand das Schlechte ausgeschieden werden muß. Die Leute hören uns gern, und zwar um so lieber, als wir schonend und doch fest mit ihnen reden. Arbeiter=Leid und= Freud’ sei ein hervorragender Gegenstand der Betrachtung. Es darf kein Übelstand sein, dem man nicht seine Aufmerksamkeit zuwendete, seine Bedrängnis, der man nicht abzuhelfen suchte. Den unverschuldeten Armen werde Unterstützung, den Kranken Pflege, den Toten christliche Liebe zu Teil. Auch dem Scherze gebührt sein Anteil. Man mache im Sommer Ausflüge, man pflege den Volfsgesang für den Gottesdienst und das bürgerliche Leben. Gute Lieder verdrängen das wüste Geschrei in Wirtshäusern und in der Werkstatt. Es wird ohnehin zu wenig gesungen; in manchen Gegenden herrscht traurige Kopfhängerei. Und wie schön wäre es, wenn ein solcher Verein sich zu einer Art Volksakademie ausgestaltete! Die Hauptsache bleibt freilich, daß die jungen Leute sich in Scherz und Ernst an einander gewöhnen, und daß man sich um sie bekümmert, daß man sieht, wie sie in Freud und Leid auch ausser dem Verein zusammenstehen. Das wäre also das Heilmittel und die echte Volksbildungsschule. Der Name ist für die Sache gleichgültig.
Wer aber soll sich der Sache besonders annehmen?
Vor allem der Klerus, der aus dem Volke stammt und nun einmal von Gottes- und Rechtswegen den Beruf hat, wie das Christentum auszubreiten in der Welt, mit demselben auch das Volk erziehend zu durchdringen. Auch kennt der Klerus das Volk am besten, soll es wenigstens kennen; er ist ferner persönlich unabhängiger als irgend ein anderer Stand und kann sich deshalb jenem Amte auch mit einer persönlichen Hingebung und Aufopferung widmen, wie kein anderer. Ja, der Geistliche ist der geborene Volkserzieher, er kann und soll auf dies wichtigste aller möglichen Ämter nicht verzichten. Ihm kommt deshalb auch das Volk da, wo er sich ihm nur nähert, mit seltenem Vertrauen entgegen, und übt er mit sorgender Liebe sein Amt, stehen ihm aller Herzen offen. Wenn das Volk sich aber vernachlässigt, ungeliebt sieht, nun, dann wendet es auch sein Herz ab, nicht ohne einen gewissen Groll dem nachzutragen, von dem es so gern geliebt wäre. Wenn in neuester Zeit da und dort das Volk dem Geistlichen abgeneigt sich erwiesen, und gar Befürchtungen laut wurden, die Ärgeres in Aussicht stellten, mag das allerdings zum großen Teil einem Geiste zugeschrieben werden, der in ihm seinen geborenen Feind erkennt und der gar so gern herrschen möchte; doch ist anderseits nicht zu leugnen, daß auch manche Geistliche sich dem Volke zu sehr entzogen, wenn nicht entfremdet haben. Wir sind indes bei einem Zeitpunkt angekommen, wo wir alle allenfallsige Schuld beim Volke austilgen müssen, alte Scharten auswetzen, altes uns zugehöriges Terrain wieder erobern, soll nicht bald Gericht über uns gehalten werden. Lautere, hingebende, alle Verhältnisse umfassende und durchdringende Liebe muß wieder zu Felde ziehen, sie wird die Welt erobern. Im unserm Falle kann und muß ich mich deshalb an den Klerus wenden. Er wird dem Unternehmen Halt und Würde geben, er wird für die Dauer, wie für das Gedeihen bürgen, wie anderseits er am leichtesten die Idee rein bewahren und vor schädlichen Auswüchsen verhindern kann.
Ich wage nicht von der größern Arbeit zu reden, aus Furcht zu beleidigen, noch die Schwierigkeiten schon jetzt in den Weg zu werfen, die sich wahrscheinlich darbieten werden, besorgt, jenen Mut in Zweifel zu ziehen, der den Stand auszeichnen soll und von jeher ausgezeichnet hat. Nein, ich glaube nur nach oben weisen und an die Aufgabe des herrlichsten Berufs unter Gottes Sonne appellieren zu dürfen, um das Nötige gesagt zu haben.
Was nun noch die Leitung des Vereins betrifft, die Art und Weise mit den Leuten umzugehen, die angegebenen Gegenstände zu behandeln, den Aufenthalt im Vereinslokal angenehm, anziehend und dadurch wirksam zu machen, so wird jeder leicht begreifen, daß eben davon sehr viel abhängt. Um deswillen müßte das aber nicht bloß Gegenstand gelegentlicher Beobachtung, sondern geradezu des ernstesten, aufmerksamsten Studiums sein. Nun ja, mancher hat seine Freude an großen und kleinen Tieren, mancher verwendet bedeutende Sorgfalt auf die Kenntnis von Kräutern und Blumen, andere pflegen Umgang mit den Sternen, noch andere spekulieren auf andere Dinge, die vielleicht noch weniger wert sind.
Darin mag nun an sich nichts Böses liegen; aber sich mit dem Nebenmenschen, mit seinem Wohl und Wehe befassen und in seiner Behandlung eine gewisse Virtuosität erwerben, gilt doch unendlich mehr; und etwas unter den edelsten Geschöpfen Gottes, die endlich grade so viel wert sind, wie wir (weiß Gott, oft noch mehr), bessern, ist doch ohne Vergleich größer, als alles Wissen der Erde besitzen. „Ein Mehreres“, fügt er bei, „über die Art und Weise, mit den Leuten zu verkehren, behalte ich mir in dem Falle vor, daß diese Anregung, und mehr soll es nicht sein, wirklich Anklang findet und man dann meine Meinung wünscht. Wer Besseres weiß, dem höre ich mit Freuden zu.“
Im der dritten und letzten Abteilung der Schrift fragt Kolping, ob die Sache, die ihm vorschwebt, denn auch wirklich ausführbar oder etwa nur eine schöne, in seinem eigenen Kopf geborene Idee sei; ob nicht etwa Schwierigkeiten, die er sich und andern verschwiegen, der Ausführung im Wege stehen. Statt aller Erörterungen darüber weist er auf den Verein hin, der in Elberfeld seit zwei Jahren bereits in voller Tätigkeit ist und somit die Probe bereits bestanden bat. Er erzählt die Entstehung dieses Vereins, dessen Name „katholischer Jünglingsverein“ in den
obwaltenden Umständen an Ort und Stelle zu erklären sei. Bei der ersten Einzeichnung fanden sich 46 ein, in wenigen Monaten waren es 100, der Mangel an Raum machte sich schädlich fühlbar, obwohl Lehrlinge und alle jene Elemente, die nicht paßten, fern gehalten wurden. Bis zum Oktober 1848 betrug die Zahl der eingezeichneten Mitglieder 251, da selten einer ausschied, außer denen, die ihren Wanderstab weitersetzten oder Meister wurden.
Der Haltung der Leute spendet er das größte Lob — eine Rüge ist kaum notwendig und Freude gibt’s viele. Im Verein wird nicht gebetet und gepredigt, wohl aber geplaudert, gesungen, gelesen, Nützliches besprochen in Vorträgen und privatim. Zank und Streit kommt nicht vor. In kirchlicher Beziehung wird nichts besonderes gefordert; der Verein singt bei der Hl. Messe und geht viermal im Jahre zu den HI. Sakramenten. Bei Ausflügen im Sommer herrscht eine wonnige Heiterkeit, ebenso in den Versammlungen. Wer wird dazu scheel sehen (selbst im Wupperthal)? Die Arbeit geht nach solch anständiger Erholung frischer von statten, als nach durchschwärmten Nächten und tollen Fahrten.
Man sieht es den Leutchen bereits an, daß die aus sie verwendete Liebe ihre Frucht trägt. Sie freuen sich die ganze Woche auf den Sonntag, und es ist schon vorgekommen, daß Gesellen, wenn die Arbeit ausging, wochenlang auf neue gewartet haben, um den Verein nicht entbehren zu müssen. Grüße kommen bereits von auswärts, selbst von jenseits des Oceans, mit der Bitte um Anleitung und Zusendung der Statuten zum Behufe der Anpflanzung des Vereins in der Ferne, wo die Gesellen selbst die besten Missionäre desselben sind.
„Seit einiger Zeit,“ fährt Kolping fort, „haben bekannte Stürme alle Lebensverhältnisse des Vaterlandes erschüttert, fast kein Mensch ist davon unberührt geblieben, — unsern Verein haben sie in seinem gedeihlichen Wirken seinen Augenblick beirrt, haben ihn auch um keinen Finger breit aus seiner einmal als gut befundenen Bahn verrückt. Wenn das Volk Gott fürchten lernt, wird es von selbst Ordnung und Recht heilig halten und selbst im Streben nach zuständiger Freiheit Maß zu halten wissen, wie anderseits mit mutiger Kraft Gewalt von sich fern halten, sie werde ihn von rechts oder Iinks angetan.“
Nun folgt die Aufforderung, in andern Städten dasselbe zu tun, was man in Elberfeld getan. „Hat man hier etwa aparte Menschen vor sich? Soll man anderwärts nicht können, was man hier kann? Oder ist anderwärts das Bedürfnis geringer? Nein! also frisch dran!“
Er führt dann fort: „Ich sage Dir, lieber Leser, zur einer Zeit, die durch göttliche Fügung glücklich hinter mir liegt, die ich oft beklagt habe, obschon ich jetzt erst recht anfange, den Finger Gottes zu erkennen, hätte ich und Hunderte mit mir eine solche Einrichtung mit wahrer Begeisterung begrüßt, wäre durch sie vor vielen trüben Stunden bewahrt geblieben, hätte manche Torheit nicht zu beklagen, sähe sehr wahrscheinlich jetzt mit größerer Freude auf die schönsten Jahre meines Lebens hin, als das nun möglich ist. Jetzt aber, nachdem der Plan die Probe bestanden, möchte ich durch Gründung von ähnlichen oder gleichen Vereinen mithelfen, Steine aus dem Weg zu rücken für andere, noch in doppelter Beziehung meine Brüder, Steine, an denen ich mich gestoßen, damit andere unverletzter ihre ohnehin beschwerliche Straße wandern mögen. Ich rufe daher zur Gründung von ähnlichen Vereinen auf und zwar mit all der Dringlichkeit, welche die gute Sache erheischt ... Mehrere Städte in Rheinland und Westfalen haben bereits mit dem hiesigen Vereine Verbindungen angeknüpft, da und dorthin haben die Gesellen die Idee verbreitet; mündliche Rücksprache hat das Übrige gethan. . . . Die Vereine müßten dann in nähere Verbindung treten, könnten sich über gemeinsame Anordnungen benehmen, ihre Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig Material mitteilen, reges Leben, was dem einzelnen so schwer wird, erhalten und fördern. Das gibt zugleich eine Schule für eine gründlichere, kenntnisreichere Volksliteratur, die uns doch so sehr not tut.“
Zum Schluß folgt eine Mahnung an die Priester, „Wohlauf, ihr Brüder, Mitarbeiter im Weinberge des Herrn, rüstig ans Werk! Die Zeit fordert Großes von uns; da ist eine würdige Aufgabe, laßt uns gemeinsam an die Lösung gehen, gemeinsame thätige Liebe verrichtet Wunder. Die jungen, frischen Herzen werden Euch schon entgegenkommen, werden Euch eine Freude bereiten, die Ihr von daher nicht erwartet habt. Und mancher verloren geglaubte Sohn wird sich einfinden und zu einem neuen Menschen erstarken, manches Talent Aufmunterung finden, was jetzt ungekannt verkümmert, späte Enkel noch segnen, was wir an den Vätern getan. Mitten in der Bewegung der Zeit bauen wir ein Haus des Friedens, pflanzen das Kreuz auf dem Giebel, und Gottes Segen wird drin weilen.” — — —
Kolping fühlte, wie aus seiner Schrift erhellt, daß das Reis, das in Elberfeld in den Boden gesenkt worden und so erfreulich wuchs und gedieh, auch weiter verpflanzt werden müsse. Die Verbreitung des Vereins nach andern Städten erschien ihm sogar als zwingende Notwendigkeit, zumal da bereits von auswärts Anfragen und Gesuche zu dem genannten Zwecke an ihn gelangten.
Mochten andere Männer den Beruf an sich verspürt und ich demselben folgsam erwiesen haben, zu allererst die jungen Leute einer einzigen Stadt um sich zu sammeln — so tönte ihm dagegen der Ruf der Vorsehung in Ohr und Herz: Gehe hinaus aus der Stadt Elberfeld und schreite mutig, gottvertrauend und opfertätig wie ein Apostel durch das Land und lasse dein Wort, dein im edelsten Sinne agitatorisches Wort überallhin erschallen! Und wenn zuweilen bange Gedanken um das Gelingen ihn beschlichen — er hielt sich nicht dabei auf, sondern sagte sich’s wieder und immer wieder: Verkenne deine Mission nicht! Es ist eine Mission und du sollst derselben gerecht werden.
Es wurde ihm nun immer klarer, daß für ihn in Elberfeld des Bleibens nicht länger sei, sondern daß er seine Wohnstätte nach einem der Zentren des Verkehrs verlegen müsse, um dort den Verein nach großem Maßstabe zu organisieren und von dort aus die Städte zur bereisen, in denen man sein Wort, seine Hilfe und sein Werk begehrte. Er fasste den Entschluß, Köln, die Metropole des Rheinlandes, den Sitz eines blühenden Handwerkerstandes, zu seinem Wohnsitz zu wählen. Er kannte die Stadt durch und durch. In ihrer Nähe hatte ja seine Wiege gestanden; hier hatte er in verschiedenen Werkstätten „Handwerkers Leid und Freud“ in vollen Zügen genossen; Hier hatte et seine mühseligen Studien gemacht und hier die Ordination zum Priester empfangen; hier war ja auch der Sitz seines Erzbischofs. Köln war damals gerade in der hoffuungsvollsten Entwickung begriffen.
Was Wunder also, daß er gerade diese Stadt ins Visier nahm! Er meinte, dass es nur eines Winkes bedürfe, um eine große Zahl junger Burschen dort zusammen zu trommeln, und daß es auch an Männern nicht fehlen werde, die zum freudigen Mitwirken bereit seien. Doch wie und wo fand sich eine passende geistliche Stelle für ihn in Köln? Das war jetzt die große Frage.
Mehrmals begab er sich zu seinen Erzbischof, um demselben sein Begehren, nach Köln verlegt zu werden, vorzutragen. Derselbe sah sehr qut ein, wie wünschenswert es sei, daß der Bitte Kolpings willfahrt werde. „Aber, aber,“ das war der stete Bescheid — „wir haben keine Stellung für Sie; es müssen Ihnen doch reiche Geldmittel zu Gebote stehen, da Sie viel reisen müssen; diese fehlen aber.“ Traurig zog Kolping immer wieder ab. Einmal — es war im Frühjahr 1849 — kam er dem Erzbischof abermals mit seiner Bitte, und die frühere Antwort wurde ihm wieder zu teil. „Es ist keine Stelle für Sie da, so leid es mir tut,“ sprach Herr v. Geissel, wehmütig durch die Brille lächelnd. — „Doch, Erzbischöfliche Gnaden, es ist ein Posten für mich vorhanden! So eben, da ich mich zu Ihnen begab, begegnete mir ein Herr, an dessen Stelle Sie mich befördern könnten.“ — „Wie kannn ich Sie aber, lieber Kolping, in ein Amt einsetzen, das ein anderer inne hat?" — „Gewiß, das können Euer Erzbischöflichen Gnaden, wenn Sie nur wollen! Der Mann, der mir begegnete, ging nicht, sondern wurde von sechs „Lungenbrüdern“ getragen, er war tot. Es ist der verstorbene Domvikar Esser. Geben Sie mir seine Stelle, er wird nichts dagegen einwenden.“ — „Die Stelle ist schlecht dotiert, Sie müssen aber über Geld verfügen!” — „Ich werde auskommen mit Gottes Hilfe, und wenn ich nichts mehr habe, komme ich zu Ihnen!“ — „Gut, Sie sollen die Stelle haben,“ sprach der Erzbischof, dem diese Offenheit, verbunden mit einem wahrhaft rührenden Gottvertrauen, sehr gefiel, wie er später manchmal erzählt hat.
Froh wie ein König kehrte Kolping jetzt nach Elberfeld heim. Die Ernennung erfolgte am 15. März 1849. Laut derselben sollte der neue Domvikar außer dem Chordienst auch in der Seelsorge als einer der Gehilfen des Dompfarrers und auf der Kanzel tätig sein. Man darf zweifelhaft darüber sein, ob für den Fall, daß das in der Bestallungs-Urkunde von Kolping Verlangte im strikten Wortsinn zu nehmen war, die Stelle eines Domvikars für den Gesellenvater eine passende war. Aber gewiß dachte die geistliche Behörde nicht an allzu strenge Anforderungen. Bei Kolping dagegen drängte die Freude, nach Köln zu kommen, jedes Bedenken in den Hintergrund. Er war denn auch im Dome tätig, so oft und viel er konnte, predigte sehr häufig, erschien im Chore früh und spät und war mehrere Jahre hindurch der treue Kaplan und Begleiter des Herrn Weihbischofs Dr. Baudri auf dessen bischöflichen Reisen. Erst später, als die Vereinsarbeiten immer mehr anwuchsen, stellte er auf seine Kosten einen Priester, der ihn vertrat und der den Titel „Subsidiar an der Metropolitan-Domkirche“ führte.
Kolping suchte in Köln, bevor er dahin übersiedelte, den Boden für den Verein zu bereiten, indem er einen Mann, dem vor vielen Sinn und Verständnis für die Idee Kolpings beiwohnte, ins Interesse zog. Dieser Mann war Religionslehrer Vosen! Bei ihm fand Kolping den rechten Blick für das, worum es sich handelte, und zugleich das freundliche Entgegenkommen. Auch andere Geistliche sandten Kolping Mitglieder in den Verein, u. a. der damalige Kaplan Nöcker von Groß-St.- Martin, gestorben als Pfarrer von St. Jakob.
Zweimal schickte Kolping Gesellen von Elberfeld aus nach Köln, damit sie dort als eine Art von Eclaireurs wirkten. Zunächst einen Koblenzer. Aber der Junge war zu still und kam zurück, wie die erste Taube, welche Vater Noe ausfliegen ließ. Dann sandte er einen Kölner, und der war der Richtige. …
Ende März fand im Jünglings-Verein zu Elberfeld die Abschiedsfeier für den scheidenden Präses statt. Dieselbe ergriff ihn aufs tiefste, da er, so sehr es ihn im Hinblick auf die zu fördernde Sache hinausdrängte, doch mit warmen Herzen an Elberfeld und dem dortigen Verein hing. …
|
|
|