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Predigt von Papst Johannes Paul II.
am 27. Oktober 1991 auf dem Petersplatz

Genau hundert Jahre nach der ersten Sozialenzyklika eines Papstes („Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII.) sprach Papst Johannes Paul II. Adolph Kolping selig. Er selbst nannte dies ein „besonders beredten Zeichen“. An der Zeremonie auf dem Petersplatz nahmen etwa 65.000 Pilger aus dem deutschen, europäischen und internationalen Kolpingwerk teil. Zehn und zwanzig Jahre nach der Seligsprechungsfeier gab es jeweils Dankwallfahrten mit Zehntausenden Pilgern aus dem Kolpingwerk.

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Der Text des heutigen Evangeliums nach Markus erinnert uns an die Heilung des Blinden. Das Evangelium enthüllt seinen Namen: Bartimäus. Es ruft seinen Hilfeschrei ins Gedächtnis, der voller Verzweiflung und gleichzeitig voller Hoffnung ist: "Sohn Davids, Jesus, hab Er-barmen mit mir" (Mk 10,47). Und schließlich seine ergreifende Bitte: "Rabbuni, ich möchte wieder sehen können" (Mk 10,51). Und Jesu Antwort: "Geh! Dein Glaube hat dir ge-holfen" (Mk 10,52)

Dies ist eines jener Zeichen, die Jesus von Nazareth gesetzt hat. Durch das besonders beredte Zeichen des Wiedererwerbs der Sehkraft für den Blinden wirft Jesus das Licht auf sein Leben. Die gesamte Sendung Christi ist erfüllt von diesem Eindruck: Er wirft durch das Evangelium göttliches Licht auf das menschliche Leben. Im Licht der Worte Christi erwirbt das menschliche Leben seinen tiefsten Sinn. Auch die verschiedenen Sphären dieses Lebens werden erleuchtet.

2. Heute wird Adolph Kolping als Seliger der Kirche zur Ehre der Altäre erhoben. Man kann sagen, daß das heutige Evangelium in besonderer Weise mit dem Leben und der Tätigkeit dieses Priesters zu tun hat, der im letzten Jahrhundert viele Lichter des Evangeliums auf die damals sehr schwierige Frage der sozialen Gerechtigkeit in den wechselseitigen Bezie-hungen von Arbeit und Kapital geworfen hat. Die Seligsprechung Adolph Kolpings im Jahr, in dem wir den hundertsten Jahrestag der Enzyklika "Rerum Novarum" feiern, ist ein besonders beredtes Zeichen.

3. Kolping versuchte, die Christen aus ihrer Trägheit aufzurütteln und sie an ihre Verant-wortung für die Welt zu erinnern. Für ihn war das Christentum nicht bloß "für die Betkammern" gedacht, sondern für den Alltag und für die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Lebensräume, in denen sich die menschliche und christliche Berufung zu erfüllen hat, sind für ihn: die Familie, die Kirche, der Beruf und die Politik.

4. Die Familie

Adolph Kolping wußte sehr gut, daß die Familie die erste und natürlichste Lebensgemeinschaft unter den Menschen ist. Kein Mensch kommt aus sich selbst. Vater und Mutter schen-ken ihm das Leben. Ein Kind braucht die Familie, braucht Freunde und Verwandte, die ihm helfen, Beziehungen zu seiner Mit- und Umwelt aufzubauen. Adolph Kolping schreibt: "Das erste, was der Mensch im Leben vorfindet, und das letzte, wonach er die Hand ausstreckt, und das Kostbarste, was er besitzt, auch wenn er es nicht achtet, ist das Familienleben."

Die Familie ist der Raum, in dem der Mensch seine ersten Lebens- und Glaubenserfahrungen machen kann, um dann auf dieser Erfahrungsfolie alle späteren Welt- und Glaubenserfahrun-gen zu bewältigen.

Bei all dem wußte Kolping um die Gefährdung der Familien und ihr Scheitern. Deshalb legte er einen so großen Wert auf die Heiligung der Familien. Er betonte immer wieder: "Im Hause muß beginnen, was leuchten soll im Vaterland." Bleibt die Familie gesund, dann kann eine kranke Gesellschaft immer wieder gesunden. Sind aber die Familien krank, dann ist

die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit schwer gefährdet. Der Familie hat Adolph Kolping deshalb einen entscheidenden Platz in seinem pastoral-sozialen Erneuerungsprogramm zugedacht.

5. Die Kirche

Für Adoph Kolping war die Kirche der Ort, an dem der Mensch das Wort Gottes hört, das im Wegweisung gibt für seinen Weltauftrag, und die Sakramente empfängt, die ihm Kraft verleihen, diesen Weltauftrag zu erfüllen. Alles, was die Kirche hat, hat sie von Jesus Christum. Sie hat all dies nicht für sich selbst, sondern für die Menschen. Mit der Kirche finden wir Christus und zugleich unsere Berufung für die Welt.

Adolph Kolping war ein Mann der Kirche. Er war geprägt durch das Evangelium Jesu und durch seine Lebenserfahrungen als ehemaliger Handwerker. Als Seelsorger wandte er sich vor allem den Ausgebeuteten und den Schwachen zu. Das waren damals die Handwerksgesellen und die Fabrikarbeiter. Sein soziales Engagement gründete in seinem Glauben. Der gab ihm die Kraft, sich im Dienst am Nächsten zu engagieren und so den Glauben an die Men-schenfreundlichkeit Gottes weiterzutragen. Adolph Kolping sammelte die Handwerksgesellen und Arbeiter. Er überwand so ihre Isolation und Resignation. Die Gemeinschaft im Glauben gab ihnen die Kraft, hinauszugehen in ihren Alltag als Zeugen Christi vor Gott und der Welt.

Aus der Zerstreuung zu sammeln, in der Sammlung zu stärken, und so wieder in die Zerstreu-ung zu gehen, ist und bleibt unser Auftrag auch in der Gegenwart. Christen sind wir nicht nur für uns allein, sondern immer auch für andere. Wir brauchen die Mitchristen, die durch ihr Christuszeugnis uns für den eigenen christlichen Weltauftrag stärken.

Was muß Adolph Kolping für ein begeisterter Priester gewesen sein, daß er heute noch so viele Männer und Frauen, junge und alte Menschen für Christus und seine Kirche begeistert. Euch, liebe Kolpingsbrüder und -schwestern, ist das Erbe Adolph Kolpings anvertraut. Gebt es weiter an die kommenden Generationen.

6. Der Beruf

Die Schatten der Ungerechtigkeit, der Ausbeutung, des Hasses und der Demütigung des Men-schen beherrschten im 19. Jahrhundert die Situation der Handwerksgesellen und der Fabrik-arbeiter.

Adolph Kolping setzte in erster Linie auf den Menschen. Nicht die Strukturen müsse man zuerst ändern, sondern die Menschen. Getragen vom Glauben an Gott, der das Glück aller Men-schen will, begann Kolping eine geduldige Erziehungsarbeit. In Wort und Schrift, durch überlegtes Planen und Handeln, versuchte er mit seinen Mitarbeitern dem Evangelium Raum und Stimme in der Welt zu verschaffen. Sie wurde für Adolph Kolping und sein Werk zum Betätigungsfeld seines werktätigen und weltnahen Christentums.

Er ist mit seiner Idee Wegbereiter und Vorläufer der großen päpstlichen Sozialenzykliken, die mit "Rerum novarum" (1891) begannen und mit "Centesimus annus" in diesem Jahr ihre vorläufig letzte Nachfolgerin gefunden haben. Die Kirche steht zum arbeitenden Menschen. Mit der Seligsprechung Adolph Kolpings möchte die Kirche diese arbeitenden Menschen ehren.

7. Die Politik

Verantwortung für die Gesellschaft und die Gemeinschaft der Menschen zu übernehmen, war für Adolph Kolping die Konsequenz aus dem Evangelium. "Auf unser tätiges Christenrum kommt es an", schrieb Kolping, "ob die Welt zu christlicher Ordnung zurückkehrt. Nur dürfen wir dieses tätige Christentum nicht zwischen Kirchenmauern und Krankenstuben allein oder in unseren häuslichen Kreisen einschließen wollen, sondern müssen es ... ins ... Leben hin-austragen." Darum befähigte und ermutigte er seine Freunde, in Politik und Gesellschaft Ver-antwortung zu übernehmen. Christen dürfen sich nicht zurückziehen, sondern haben in der Welt der Arbeit und an den Schaltstellen der Politik ihren Platz und unverzichtbaren Auftrag. Kolping wußte: "Die Kirche kann und darf sich von der sozialen Fragen nicht zurückziehen ... sie muß ins Leben treten und (darf) den Kampf ... nicht scheuen."

Die Kirche, liebe Schwestern und Brüder, das sind wir alle! In vielen Ländern Europas sind die kommunistischen Zwangsregime zusammengebrochen. Was wird nun an ihre Stelle tre-ten? Was ist die Alternative zur marxistischen Gesellschaftstheorie, deren Konsequenzen die Welt ruiniert haben? Die Alternative, die Adolph Kolping anbietet, gründet im Evangelium. "Man wird die wirkliche Lage der Verhältnisse in der politischen und sozialen Welt nie recht und ganz verstehen, wenn man nicht zugleich auch die religiöse ins Auge faßt. Die Religion ist und bleibt, mag man sie anerkennen oder nicht, die tiefste, die erste und die letzte Frage im Menschen." Daraus ergibt sich: Verantwortung vor Gott für die Welt. Dafür steht Adolph Kolping als Zeuge heute vor uns.

8. Unser Retter Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen (vgl. 2 Tim 1,10)

Wir nehmen an der Eucharistiefeier teil, die das Sakrament des Sieges Christi ist, der den Tod überwunden hat, indem er ihn als Opfer für die Sünden der Welt angenommen hat.

Dadurch hat er Licht auf unser menschliches Leben und auf den Tod geworfen: das entschei-dende und gründlichste Licht.

Die Auferstehung Christ ist auch das letzte Wort des Evangeliums, das uns - wie dem Blinden in der heutigen Liturgie - die Augen öffnet für so viele Bereiche des menschlichen Lebens.

Danken wir dem auferstandenen Herrn, daß er im rechten Augenblick der Geschichte seinen Diener Adolph Kolping zu seinem klugen und treuen Werkzeug für das "soziale Evangelium" berufen hat: des Evangeliums von den Rechten des arbeitenden Menschen, des Evangeliums von der Würde der menschlichen Arbeit.

Danken wir Christus, daß Adolp Kolping am heutigen Tag als Seliger der Kirche zur Ehre der Altäre erhoben worden ist. Amen.

Papstansprache am 29.10.91 in Rom.

Ansprache von Papst Johannes Paul II. am 15. November 1980 in der Minoritenkirche, Köln:

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