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Vortrag beim Kolpingtag 2015 (19.9.15)

 

100 JAHRE VERBANDSGESCHICHTE IM WANDEL DER ZEIT

Dr. Michael Hanke, ehemaliger Bundessekretär des Kolpingwerkes Deutschland

Vor mehr als 40 Jahren kam es zur Begegnung mit einem Verband, der äußerlich (vordergründig) nicht viel mehr mit dem Gesellenverein von einst zu tun zu haben schien – außer der permanenten Beziehung zu resp. Berufung auf Kolping. Über die berufliche Befassung mit Kolping (Herausgabe der Kolping-Briefe) kam es zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit der Verbandsgeschichte. Dabei deutlich: Das ‚Jetzt’ (Stand ca. Mitte der 70er Jahre) war Folge eines langen Entwicklungsprozesses, mindestens seit 1918, wo sich verbandliche Gegebenheiten und Entwicklungen immer wieder politische und gesellschaftliche (und kirchliche) Entwicklungen und Wandlungen spiegeln bzw. von diesen geprägt sind.

Tatsächlich ist die Verbandsgeschichte von 1846 bis 1918 durch hohe Konstanz geprägt; die Grundlinien der Arbeit und Organisation blieben weithin gleich. Stichworte:

Homogenität der Mitgliedschaft / eher hohe Anforderungen (Probezeit) / Angebote nur für Mitglieder

Angebotsstruktur: Vorträge / Unterricht (Kernfächer) / Geselligkeit / Unternehmungen / besondere Einrichtungen (Sparkassen, etc.)

Dominanz des Präses (mit Schutzvorstand), aber mit gewissen partizipativen Elementen

Streben nach dem eigenen Haus

Insgesamt ist diese Zeit eine Wachstumsphase mit entsprechenden strukturellen und organisatorischen Auswirkungen wie (schon frühzeitig) die Etablierung der Diözesanverbände (ansatzweise später auch Bezirke), Einführung eines Verbandsbeitrages, Etablierung des Generalsekretariates, Herausgabe von Kolpingblatt und Mitteilungen als Kommunikationsinstrumente, Aufbau von Fachabteilungen, etc.

Exkursion: ‚Kleine Vereine’

Exkursion: Zur Internationalität des Kolpingwerkes

 

Im Gefolge des Ersten Weltkrieges (WK 1) und der Entwicklungen in der Weimarer Republik sind folgende besonders wichtige Neuerungen / Änderungen festzuhalten:

Demokratisierung (Senioren auf allen Ebenen)

Internationalisierung (Etablierung eines deutschen Zentralverbandes 1928)

Pol. Bildung / Engagement in Gesellschaft und Politik (Handwerk, etc.)

Wachsendes Bildungsniveau bei Mitgliedern und entsprechende Qualität / Vielfalt der Angebote

Mehr Beachtung der Ehemaligen (Intensivierung der Bindung an den Verband)

Insgesamt wiederum eine Wachstumsphase, begleitet und unterstützt durch entsprechende organisatorische Rahmenbedingungen.

1933 als das entscheidende Jahr der Wende in der Verbandsgeschichte: Rasche Klarheit über Ziele des Nationalsozialisten; vermeintliche Entspannung durch das Reichskonkordat, aber sehr schnell Ernüchterung (Doppelmitgliedschaftsverbot!); die anfängliche Bereitschaft zur Kooperation (auch mit ideologischen Nähen) weicht dem Bemühen um das nackte Überleben, gerade auch mit dem Erlebnis des Münchener Gesellentages.

Zentralversammlung 1933 und folgende Jahre:

Verabschiedung von allen gesellschaftlich und politisch relevanten Arbeitsfeldern (inklusive der entspr. Begrifflichkeiten) – es bleiben Religion und Familie; sukzessive verschwinden auch die traditionellen Einrichtungen

Der Verband wird zum Kolpingwerk, der Gesellenverein wird zur Kolpingsfamilie, gebildet nun aus den Gruppen Kolping (GV) und Altkolping (Ehemalige nun mit vollem Recht der Mitgliedschaft)

Zentrale Mitgliedererfassung (Stammbuch) und Führerprinzip, gerade auch als Sicherung gegen äußere Unterwanderung!

Im Weltkrieg haben die Altmitglieder das Überleben des Werkes gesichert! Viele Vereine sind mehr oder weniger eingegangen, viele Häuser wurden verloren. Die meisten außerdeutschen Zentralverbände gehen unter oder werden (später) unterdrückt.

Nach 1945 gibt es wieder einen Neubeginn, aber unter ganz neuartigen Voraussetzungen resp. Rahmenbedingungen:

Neuaufbau eines demokratischen Gemeinwesens mit entsprechenden Aufgaben und Herausforderungen (und auch Chancen) für Mitglieder und Verband

Weitestgehendes Ende der traditionellen beruflichen Wanderschaft und Übernahme trad. Arbeitsfelder durch andere Institutionen (Handwerksorganisation, etc.)

Dominanz der Altmitglieder (mit lokaler Verwurzelung und wachsender Differenzierung in beruflicher Hinsicht)

Zeitweilige Kopflosigkeit im Internationalen Kolpingwerk etc.

Im Ergebnis wandelt sich die Kolpingsfamilie zum ortsansässigen (pfarrbezogenen) Verein, der sich nach und nach öffnet – für Mitglieder aus allen Berufen, für junge Menschen (Jungkolping) und für Frauen. Dieser Prozess – gekennzeichnet auch durch eine Vielzahl von Neugründungen, gerade in den Großstädten – ist etwa zu Beginn der 70er Jahre definitiv (d.h. zumindest statutarisch) in die Wege geleitet. Im Kontext auch innerkirchlicher Entwicklungen (2. Vatikanum) kommt die weitere Stärkung des Laienelementes hinzu, sichtbar seit 1971 im Amt des Vorsitzenden auf allen Ebenen.

Seither gab (und gibt) es eine Phase des Bemühens um neue Orientierungen (Programmatik) und die entsprechenden Strukturen (Satzungen). Im gleichen Zeitraum setzt die rasche internationale Ausbreitung des Kolpingwerkes ein (als ein Ansatz einer zukunftsorientierten Entwicklungszusammenarbeit). Die entscheidende Frage ist dabei, was heute (d.h. in Gegenwart und Zukunft) als adäquate Aufgabe eines sich nach Adolph Kolping benennenden Verbandes bezeichnet (gefunden) werden kann oder muss.

Tatsächlich ist das Kolpingwerk heute (in Deutschland) betroffen von allen relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen und Wandlungen mit ihren Konsequenzen (die generell auch für die Kirche gelten): Verlust an traditionellen ideologischen (religiösen) Bindungen; Rückgang von Bindungs- und Verantwortungsbereitschaft; Vorliebe für punktuelles, eher unverbindliches Mitwirken; komplexe und immer vielfältigere Angebote in den Bereichen der Bildung, Information und Freizeitgestaltung; Trends zur Professionalisierung von – im weitesten Sinne verstandenen – Dienstleistungen; demografischer Wandel, etc.

Die sinkenden Zahlen bei den Kolpingsfamilien und Mitgliedern sind ein Indiz.

Wie geht es weiter? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht Gegenstand des heutigen Vortrages, aber doch zwei Hinweise: Entweder wir erklären die ‚Idee’ Adolph Kolpings für nicht mehr aktuell oder wir versuchen, sie immer wieder neu zu aktualisieren. Dabei könnten bzw. müssten die Stichworte Gemeinschaft, Orientierung und Lebenshilfe (und damit auch Weltverantwortung) im Fokus sein, wo es für alle denkbaren Situationen spezifische Ansätze zu entwickeln gälte.

Köln, 16.9.2015 mh (Manuskripterstellung)

VORTRAG AM SAMSTAG, 19. SEPTEMBER 2015, 10.30 – 11.30 UHR

St. Michael, Brüsseler Platz 1 – Nähe Rudolfplatz

(Programmheft S. 122)

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Dr. Michael Hanke war Bundessekretär des Kolpingwerkes Deutschland